Zirkuskind
Ausschau
gehalten hatte; sie hatte es erwartet.
»Nein, niemals«,
antwortete Dhar. Jetzt mußte Nancy den Blick von ihm abwenden und schaute statt
dessen Dr. Daruwalla ins Gesicht.
»Wieso halten Sie
es eigentlich geheim… daß Sie alle seine Filme schreiben?« fragte Nancy den Doktor.
»Ich habe bereits
einen Beruf«, antwortete Dr. Daruwalla. »Die Idee war ursprünglich, ihm zu einer
beruflichen Karriere zu verhelfen.«
»Das ist Ihnen wahrhaftig
gelungen«, sagte Nancy zu [681] Farrokh. Detective Patel wollte ihre linke Hand ergreifen,
die auf dem Tisch neben ihrer Gabel lag, aber Nancy ließ sie in ihren Schoß gleiten.
Dann wandte sie sich an Dhar.
»Und wie gefällt
sie Ihnen… Ihre sogenannte Karriere?« fragte sie den Schauspieler. Dhar antwortete
mit seinem stereotypen Achselzucken, das das höhnische Lächeln noch unterstrich.
In seine Augen trat ein grausames und zugleich fröhliches Funkeln.
»Ich habe noch einen
anderen Job… ein anderes Leben«, antwortete Dhar.
»Sie Glücklicher«,
meinte Nancy.
»Herzchen«, sagte
der Kommissar und ergriff die Hand seiner Frau, die in ihrem Schoß lag. Sie schien
in ihrem Korbstuhl leicht zusammenzusacken. Sogar Mr. Sethna konnte hören, wie sie
ausatmete. Der alte Butler hatte auch sonst fast alles gehört, und was er nicht
wirklich gehört hatte, hatte er den vier Personen ziemlich deutlich von ihren Lippen
abgelesen. Mr. Sethna war ein guter Lippenleser und konnte sich für sein Alter noch
recht flink um eine Gesprächsrunde herumbewegen. Ein Vierertisch bereitete ihm kaum
Schwierigkeiten. Und im Ladies’ Garden war es ohnehin leichter, ein Gespräch mitzuverfolgen,
als im großen Speisesaal, weil sich über den Köpfen nur das blühende Laubendach
befand und kein Deckenventilator.
Aus Mr. Sethnas
Sicht war dieser Lunch bereits ungleich interessanter, als er erwartet hatte. Leichen!
Eine gestohlene Kugelschreiberhälfte? Und vor allem die verblüffende Enthüllung,
daß in Wirklichkeit Dr. Daruwalla der Autor dieses Schunds war, der Inspector Dhar
zum Star gemacht hatte! In gewisser Weise bildete sich Mr. Sethna ein, daß er es
schon die ganze Zeit geahnt hatte. Er hatte schon immer gespürt, daß Farrokh nicht
das Format seines verstorbenenVaters hatte.
Mr. Sethna glitt
mit den alkoholfreien Getränken und dem Bier an den Tisch und wieder davon. Die
gehässigen Gefühle, die [682] er Dhar entgegengebracht hatte, richteten sich jetzt
auf Dr. Daruwalla. Ein Parse, der für das Hindi-Kino schreibt! Und sich auch noch
über andere Parsen lustig macht! Wie konnte er es wagen! Mr. Sethna vermochte sich
kaum zu beherrschen. In Gedanken hörte er das Geräusch, das sein silbernes Serviertablett
bei einer heftigen Berührung mit Dr. Daruwallas Kopf machen würde; es klang wie
ein Gong. Der Butler mußte seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um der Versuchung
zu widerstehen, den abstoßenden flaumigen Nabel der Frau mit ihrer Serviette zu
bedecken, die achtlos zusammengeknüllt in ihrem Schoß lag. Ein solcher Bauchnabel
gehörte verhüllt, nein, verboten! Aber Mr. Sethna beruhigte sich rasch wieder, weil
er nicht versäumen wollte, was der echte Polizist sagte.
»Ich würde von Ihnen
dreien gern hören, wie Sie Rahuls jetziges Aussehen beschreiben würden, wenn man
davon ausgeht, daß er jetzt eine Frau ist«, sagte der Kommissar. »Sie zuerst«, sagte
Patel zu Dhar.
»Aufgrund ihrer
Eitelkeit und des ausgeprägten Bewußtseins körperlicher Überlegenheit würde sie
jünger wirken, als sie ist«, begann Dhar.
»Aber sie ist immerhin
drei- oder vierundfünfzig«, warfDr. Daruwalla ein.
»Sie sind als nächster
dran. Bitte lassen Sie ihn ausreden«, sagte Detective Patel.
»Sie würde nicht
wie drei- oder vierundfünfzig aussehen, außer vielleicht ganz früh am Morgen«, fuhr
Dhar fort. »Und sie wäre körperlich sehr fit. Sie hat etwas von einem Raubtier an
sich. Sie ist jemand, der sich anpirscht… ich meine, in sexueller Hinsicht.«
»Ich glaube, sie
war ziemlich scharf auf Dhar, als er noch ein Junge war!« bemerkte Dr. Daruwalla.
»Wer war das nicht?«
fragte Nancy bitter. Nur ihr Mann sah sie an.
[683] »Bitte lassen
Sie ihn ausreden«, wiederholte Patel geduldig.
»Sie ist außerdem
der Typ Frau, dem es Spaß macht, einen dazu zu bringen, daß man sie begehrt, selbst
wenn sie vorhat, einen abzuweisen«, sagte Dhar und sah Nancy direkt ins Gesicht.
»Und ich würde annehmen, daß sie eine sarkastische Ader hat, wie ihre
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