Zirkuskind
Leute
wirken. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht?«
»Das tu ich doch
die ganze Zeit, ich soll ja auf die Leute wirken«, sagte Dhar schließlich. »Immerhin
bin ich Schauspieler.«
[696] »Und ob Sie das
sind«, sagte Nancy. Sie merkte, daß er sich ein Achselzucken verkniff. Wenn er nicht
spöttisch lächelte, gefiel ihr sein Mund besser, als sie für möglich gehalten hätte.
»Wollen Sie mich? Haben Sie je darüber nachgedacht?« fragte sie ihn. Sie
sah, daß er überlegte, was er sagen sollte. »Sie können nicht erkennen, was ich möchte, oder?« kam sie seiner Antwort
zuvor. »Bei Rahul müssen Sie Ihre Sache schon besser machen. Sie können meine Gedanken
nicht erraten und mir deshalb auch nicht sagen, was ich möchte. Sie wissen nämlich
nicht wirklich, ob ich Sie will, habe ich recht? Sie werden Rahul schon besser durchschauen
müssen als mich«, wiederholte Nancy.
»Ich durchschaue
Sie schon«, erklärte Dhar. »Ich habe nur versucht, höflich zu sein.«
»Das glaube ich
Ihnen nicht. Sie überzeugen mich nicht«, sagte Nancy. »Eine schlechte schauspielerische
Leistung«, fügte sie hinzu, aber sie glaubte ihm.
Als sie sich in
der Damentoilette die Hände wusch, sah sie den absurden Wasserhahn – das Wasser
floß aus einem einzigen Hahn in Form eines Elefantenrüssels. Nancy regulierte das
heiße und das kalte Wasser, erst mit dem einen Stoßzahn, dann mit dem anderen. Vor
zwanzig Jahren, im Hotel Bardez, hatten ihr nicht einmal vier Bäder das Gefühl geben
können, sauber zu sein; jetzt fühlte sich Nancy wieder schmutzig. Wenigstens, stellte
sie erleichtert fest, gab es hier kein blinzelndes Auge. Das zumindest hatte sich
Rahul, angeregt von den Bauchnabeln der vielen ermordeten Frauen, selbst ausgedacht.
Sie bemerkte auch
die Ablage, die sich auf der Innenseite der Toilettentür herunterziehen ließ. Als
Griff diente ein durch einen Elefantenrüssel gezogener Ring. Nancy dachte über die
psychologischen Gründe nach, die Rahul dazu veranlaßt haben mochten, sich für den
einen Elefanten zu entscheiden und gegen den anderen.
Als Nancy in den
Ladies’ Garden zurückkehrte, machte sie [697] nur eine sachliche Bemerkung darüber,
daß sie die Vorlage für Rahuls Bauchzeichnungen gefunden zu haben glaubte. Der Kommissar
und der Doktor eilten auf die Damentoilette, um sich den verräterischen Elefanten
selbst anzusehen. Die Möglichkeit, den viktorianischen Wasserhahn in Augenschein
zu nehmen, ergab sich erst, als die letzte Frau die Damentoilette verlassen hatte.
Selbst aus beachtlicher Entfernung – vom anderen Ende des Speisesaals aus – konnte
Mr. Sethna feststellen, daß sich Inspector Dhar und die Frau mit dem anstößigen
Nabel nichts zu sagen hatten, obwohl die anderen sie länger im Ladies’ Garden allein
ließen, als ihnen lieb war.
Später im Auto sagte
Dectective Patel zu Nancy, noch bevor sie die Auffahrt des Duckworth Club hinter
sich gelassen hatten: »Ich muß zurück ins Kommissariat, aber erst bringe ich dich
nach Hause.«
»Du solltest vorsichtiger
sein, wenn du mich um etwas bittest, Vijay«, sagte Nancy.
»Tut mir leid, Herzchen«,
antwortete Patel. »Aber ich wollte deine Meinung hören. Meinst du, ich kann mich
auf ihn verlassen?« Der Kommissar sah, daß seine Frau drauf und dran war, wieder
zu weinen.
»Du kannst dich
auf mich verlassen!« sagte Nancy unterTränen.
»Ich weiß, daß ich
mich auf dich verlassen kann, Herzchen«, sagte Patel. »Aber was ist mit ihm? Glaubst
du, er wird es schaffen?«
»Er wird alles tun,
was du ihm sagst, sofern er genau weiß, was du willst«, antwortete Nancy.
»Und glaubst du,
daß Rahul auf ihn anspringt?« fragte ihr Mann.
»Aber sicher«, sagte
sie bitter.
»Dhar ist schon
ein toller Bursche!« sagte der Detective bewundernd.
[698] »Dhar ist so
unecht wie eine Drei-Dollar-Note«, erklärte Nancy.
Da Detective Patel
nicht aus Iowa stammte, fiel es ihm etwas schwer, sich vorzustellen, wie »unecht«
eine Drei-Dollar-Note war. »Du meinst, daß er schwul ist… homosexuell?« fragte ihr
Mann.
»Ohne jeden Zweifel.
Du kannst dich auf mich verlassen«, wiederholte Nancy. Sie waren fast zu Hause angelangt,
bis Nancy wieder etwas sagte. »Wahrhaftig ein toller Bursche«, meinte sie.
»Tut mir leid, Herzchen«,
meinte der Kommissar, weil er sah, daß seine Frau nicht zu weinen aufhören konnte.
»Ich liebe dich
wirklich, Vijay«, stieß sie hervor.
»Ich liebe dich
auch, Herzchen«, versicherte ihr der
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