Zirkuskind
würde
er nur zwei Tage unterwegs sein.
Aber Dr. Daruwalla
fuhr in Indien nirgendwohin, ohne vorsorglich bestimmte Dinge mitzunehmen: Erythromycin,
das bevorzugte Antibiotikum für Bronchitis; Lomotil beziehungsweise Immodium gegen
Durchfall. Sogar einen Satz chirurgische Instrumente hatte er dabei, dazu Nahtmaterial
und [702] Jodoformgaze – und sowohl einen antibiotischen Puder als auch eine Salbe.
Bei dem hiesigen Wetter gediehen in der einfachsten Wunde Infektionen. Außerdem
reiste der Doktor nie ohne eine Musterkollektion Kondome, die er unaufgefordert
recht großzügig verteilte. Indische Männer waren bekannt dafür, daß sie keine Kondome
benutzten. Dr. Daruwalla brauchte nur einem Mann zu begegnen, der einen Witz über
Prostituierte machte; seiner Ansicht nach kam das einem Bekenntnis gleich. »Da,nehmen
Sie das nächste Mal eins von denen«, empfahl er dem Betreffenden dann.
Außerdem schleppte
der Doktor für alle Fälle immer ein halbes Dutzend sterile Einmalspritzen und -kanülen
mit. Im Zirkus wurden die Leute andauernd von Hunden und Affen gebissen. Da jemand
Dr. Daruwalla erzählt hatte, unter den Schimpansen sei die Tollwut endemisch, nahm
er speziell auf diese Fahrt drei Einheiten Tollwut-Impfstoff und drei 10 ml-Ampullen
menschliches Anti-Tollwut-Immun-Globulin mit; beides mußte kühl gelagert werden,
aber für eine Reise von weniger als achtundvierzig Stunden reichte auch ein Thermosbehälter
mit Eis.
»Rechnest du damit,
daß du gebissen wirst?« hatte Julia ihn gefragt.
»Ich habe eher an
den neuen Missionar gedacht«, hatte Farrokh geantwortet, denn er glaubte, wenn er
selbst ein tollwütiger Schimpanse im Great Blue Nile wäre, würde er sicher am ehesten
Martin Mills beißen. Aber Julia wußte, daß er genug Impfstoff und Immun-Globulin
für sich selbst, den Missionar und beide Kinder eingepackt hatte – nur für den Fall,
daß sich ein tollwütiger Schimpanse auf alle vier stürzen sollte.
[703] Ein Glückstag
Am Morgen
hätte der Doktor zu gern die neuen Seiten seines Drehbuchs durchgelesen und überarbeitet,
aber es gab zu viel anderes zu erledigen. Der Elefantenjunge hatte sämtliche Kleidungsstücke
versetzt, die Martin Mills ihm in der Fashion Street gekauft hatte. Julia hatte
dem undankbaren kleinen Kerl in weiser Voraussicht schon neue Sachen besorgt. Es
war ein Kampf, Ganesh in die Badewanne zu bekommen – anfangs, weil er immer nur
mit dem Lift auf und ab fahren wollte, und später, weil er noch nie in einem Gebäude
mit einem Balkon gewesen war, der auf den Marine Drive hinausging, und sich an der
Aussicht nicht sattsehen konnte. Außerdem wehrte sich Ganesh dagegen, an seinem
gesunden Fuß eine Sandale zu tragen; und sogar Julia bezweifelte, daß es klug war,
den zerquetschten Fuß in einer sauberen weißen Socke zu verstecken; sie würde nicht
lange sauber und weiß bleiben. Was die einzelne Sandale betraf, so beklagte sich
Ganesh, der Riemen am Rist würde ihn so einschneiden, daß er kaum gehen könne.
Nachdem der Doktor
Julia einen Abschiedskuß gegeben hatte, bugsierte er den verstimmten Jungen zu Vinods
wartendem Taxi, in dem, auf dem Beifahrersitz neben dem Zwerg, bereits eine mürrische
Madhu saß. Sie war ungehalten, weilDr. Daruwalla zunächst nicht verstand, was sie
ihm sagen wollte, bis sie ihm in einem Gemisch aus Hindi und Marathi schließlich
klarmachte, daß sie die Sachen, die ihr Vinod zum Anziehen gegeben hatte, scheußlich
fand. Deepa hatte ihm gesagt, wie er das Mädchen kleiden sollte.
»Ich bin doch kein
Kind«, sagte die ehemalige Kindprostituierte, obwohl es natürlich Deepas Absicht
gewesen war, die kleine Hure so anzuziehen, daß sie wenigstens wie ein Kind aussah.
»Die Leute vom Zirkus
möchten aber, daß du wie ein Kind aussiehst«, erklärte Dr. Daruwalla Madhu, doch
die schmollte [704] weiter. Auch auf Ganesh reagierte sie nicht so, wie es sich für
eine Schwester gehört hätte.
Madhu warf einen
kurzen, angewiderten Blick auf die verklebten Augen des Jungen. Sie waren mit einem
Film frisch aufgetragener Tetracyclinsalbe überzogen, die ihnen ein glasiges Aussehen
verlieh. Der Junge würde die Behandlung noch eine Woche oder länger fortsetzen müssen,
bevor seine Augen wieder normal aussahen. »Ich dachte, sie wollten deine Augen richten«,
sagte Madhu grausam. Sie sprach Hindi. Sonst gaben sich beide Kinder Mühe, englisch
zu sprechen, wenn Farrokh mit einem von ihnen allein war. Doch sobald die beiden
zusammen waren,
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