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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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gekannt hatte. Warum sie das in seinen Augen attraktiv
machen sollte, war noch so eine ärgerliche und ungeklärte Frage. Da die zweite Mrs.
Dogar vermutlich nicht mehr als sechs oder sieben Jahre jünger war als Dr. Daruwalla,
waren sie sozusagen zur selben Zeit Kinder gewesen.
    [96]  Der Doktor fühlte
sich ertappt, als Dhar sagte: »Wenn du dich sehen könntest, Farrokh, wie du diese
Frau anschaust, wäre dir das vermutlich peinlich.« Wenn dem Doktor etwas peinlich
war, hatte er die unangenehme Angewohnheit, abrupt das Thema zu wechseln.
    »Und du erst! Du
hättest dich mal sehen sollen!« sagte Dr. Daruwalla zu Inspector Dhar. »Du hast
ausgesehen wie ein verdammter Polizeiinspektor – ich meine, du hast verdammt echt
ausgesehen!«
    Es irritierte Dhar,
wenn Dr. Daruwalla ein derart lächerliches, unnatürliches Englisch sprach; es war
nicht einmal das Englisch mit dem singenden, melodischen Hindi-Einschlag, das für
Dr. Daruwalla ebenfalls unnatürlich war. Das hier war schlimmer, weil es durch und
durch unecht war – dieser affektierte, britische Tonfall jenes indischen Englisch
mit seiner ausgeprägten klanglichen Eigenart, das einem häufig bei jungen Collegeabgängern
begegnete, die als Berater für das Speisen- und Getränkeangebot im Taj Mahal oder
als Produktmanager für Britannia Biscuits arbeiteten. Dhar wußte, daß dieser unpassende
Akzent Farrokhs Befangenheit widerspiegelte – er fühlte sich in Bombay einfach fehl
am Platz.
    Leise, in akzentfreiem
Englisch, sagte Inspector Dhar zu seinem aufgewühlten Freund: »Welches Gerücht über
mich wollen wir denn heute schüren? Soll ich dich auf Hindi anschreien? Oder ist
heute ein guter Tag für Englisch als Zweitsprache?«
    Dhars boshafter
Ton und sein hämischer Gesichtsausdruck kränkten Dr. Daruwalla, obwohl diese Manierismen
die Markenzeichen der fiktiven Gestalt waren, die er selbst geschaffen hatte und
die ganz Bombay inzwischen haßte. Obwohl dem heimlichen Drehbuchautor moralische
Bedenken wegen seines Geschöpfs gekommen waren, änderte dieser Zweifel nichts an
der vorbehaltlosen Zuneigung, die er dem jüngeren Mann entgegenbrachte. Weder in
der Öffentlichkeit noch privat machte [97]  der Doktor einen Hehl aus seiner herzlichen
Zuneigung zu Dhar.
    Dhars höhnische
Bemerkungen und die spitze Art, mit der er sie vorbrachte, taten Dr. Daruwalla weh;
trotzdem betrachtete er den etwas verlebten, attraktiven Schauspieler mit großer
Zärtlichkeit. Dhar ließ sein Hohnlächeln zu einem Lächeln dahinschmelzen. Liebevoll
ergriff der Doktor die Hand seines jüngeren Freundes, so liebevoll, daß es den am
nächsten stehenden und stets aufmerksamen Kellner beunruhigte – denselben armen
Kerl, dem dieser Tag das Mißgeschick mit der kleckernden Krähe und der ärgerlichen
Suppenterrine beschert hatte.
    In ganz normalem
Englisch flüsterte Dr. Daruwalla: »Es tut mir wirklich furchtbar leid – ich meine,
es tut mir leid für dich, mein lieber Junge.«
    »Nicht nötig«, flüsterte
Inspector Dhar. Sein Lächeln verflog, der höhnische Zug kehrte zurück, und er entzog
dem älteren Mann seine Hand.
    Sag es ihm jetzt!
redete sich Dr. Daruwalla zu, aber er brachte nicht den Mut auf; er wußte nicht,
wie er anfangen sollte.
    Schweigend saßen
sie bei Tee und Gebäck, als der echte Polizist auf ihren Tisch zusteuerte. Sie waren
bereits von dem diensthabenden Beamten der Polizeiwache in Tardeo befragt worden,
einem Inspektor Sowieso – nicht sonderlich beeindruckend. Der Inspektor war mit
einem Stab von Unterinspektoren und Wachtmeistern in zwei Jeeps vorgefahren, was
Dr. Daruwalla wegen eines Todesfalls auf einem Golfplatz reichlich übertrieben fand.
Der Inspektor aus Tardeo hatte sich Inspector Dhar gegenüber salbungsvoll, aber
herablassend verhalten und Farrokh gegenüber unterwürfig.
    »Ich hoffe sehr,
daß Sie mir verzeihen, Doktor«, sagte er einleitend. Sein Englisch war eine Zumutung.
»Es tut mir außerordentlich leid, daß ich Ihre Zeit beanspruche, Sir«, fügte er
mit Blick auf Inspector Dhar hinzu. Dhar antwortete auf Hindi.
    [98]  »Sie haben die
Leiche nicht untersucht, Doktor?« fragte der Polizist, der hartnäckig an seinem
Englisch festhielt.
    »Ganz gewiß nicht«,
antwortete Dr. Daruwalla.
    »Sie haben die Leiche
nicht angerührt, Sir?« fragte der Beamte den berühmten Schauspieler.
    »Ich habe sie nicht
angerührt«, antwortete Dhar auf englisch, wobei er den Hindi-Akzent des Polizisten
lupenrein nachahmte.
    Als der

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