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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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befand, an der
sein Vater – zwanzig Jahre später – von einer Bombe zerfetzt wurde.
    »Du solltest diesen
Leuten zuhören, Farrokh«, erklärte ihm sein Vater. »Selbst wenn sie vielleicht andere
moralische Maßstäbe haben als du, kannst du durchaus was von ihnen lernen.«
    Auch an die ironische
Wendung, die diese Geschichte nahm, würde sich Farrokh immer erinnern. Denn obwohl
die Idee von seinem Vater stammte, war schließlich Farrokh derjenige, der von den
erbärmlichen Ausländern wirklich etwas lernte; er war letzten Endes derjenige, der
Dannys Rat befolgte.
    [159]  Hatte er denn irgend etwas Wissenswertes gelernt?
    Farrokh
war jetzt nicht mehr neunzehn, sondern neunundfünfzig. Die Dämmerung war schon vorüber,
aber der Doktor saß noch immer zusammengesunken auf seinem Stuhl im Ladies’ Garden.
Er machte ein Gesicht, als hätte er den Mißerfolg gepachtet. Obwohl er bei seinen
Inspector-Dhar-Drehbüchern das letzte Wort hatte – die »Entscheidung über die endgültige
Drehbuchfassung« wurde stets ihm überlassen –, spielte das eigentlich keine Rolle.
Alles, was er geschrieben hatte, war Schrott. Paradoxerweise hatte er mit Drehbüchern
zu Filmen, die nicht besser waren als Eines Tages fahren wir nach Indien,
Liebling, großen
Erfolg gehabt.
    Dr. Daruwalla fragte
sich, ob andere Drehbuchautoren, die ähnlichen Mist verzapft hatten, auch davon
träumten, ein »anspruchsvolles« Filmdrehbuch zu schreiben. Wenn Farrokh eine anspruchsvolle
Geschichte in Angriff nahm, fing sie immer gleich an; nur kam er einfach nicht über
den Anfang hinaus.
    Der Film begann
mit einer Aufnahme des Victoria Terminus, des riesigen gotischen Bahnhofs mit seinen
Buntglasfenstern, seinen Friesen, seinen emporstrebenden Stützpfeilern und seiner
reich verzierten Kuppel mit den Wasserspeiern, der in Farrokhs Augen das Herz von
Bombay war. In dem hallenden Bahnhofsgebäude wuselten täglich etwa eine halbe Million
Pendler herum, die außer Kind und Kegel ihre gesamte Habe bis hin zu den Hühnern
mitschleppten.
    Draußen vor dem
riesigen Bahnhof gab es auf dem Crawford Market ein unüberschaubares Angebot an
Obst und Gemüse, ganz zu schweigen von den Ständen mit Haustieren, an denen man
Papageien oder Piranhas oder Affen erstehen konnte. Und aus all den Trägern und
Verkäufern, den Bettlern und Neuankömmlingen und Taschendieben, pickte die Kamera
(irgendwie) Farrokhs Helden heraus – ein Kind, noch dazu verkrüppelt. [160]  Könnte
sich ein orthopädischer Chirurg einen anderen Helden vorstellen? Mit der magischen
Gleichzeitigkeit, die der Film gelegentlich schafft, verrät uns das Gesicht des
Jungen (in Großaufnahme), daß seine Geschichte unter Millionen ausgewählt worden
ist; und gleichzeitig erfahren wir (von seiner über die Szene gelegten Stimme) seinen
Namen.
    Farrokh hatte eine
übertriebene Vorliebe für diese aus der Mode gekommene Technik. Er setzte sie in
sämtlichen Inspector-Dhar-Filmen übertrieben häufig ein. Ein Dhar-Film beginnt damit,
daß die Kamera einer hübschen jungen Frau über den Crawford Market folgt. Sie ist
verängstigt, als wüßte sie, daß sie verfolgt wird, stößt deshalb an einem Obststand
einen aufgetürmten Berg Ananas um und läuft kopflos weiter. Dies wiederum führt
dazu, daß sie auf dem fauligen Kompost am Boden ausrutscht und gegen einen Stand
mit Haustieren rumpelt, wo ein bösartiger Kakadu auf ihre Hand einhackt. Und nun
sehen wir Inspector Dhar. Während die junge Frau weiterrennt, folgt Dhar ihr seelenruhig.
Er bleibt bei dem Stand mit den exotischen Vögeln gerade so lange stehen, um dem
Kakadu einen Klaps mit dem Handrücken zu geben. Man hört seine Stimme sagen: »Das
war das dritte Mal, daß ich sie beschattete, aber sie war noch immer so verrückt,
sich einzubilden, sie könnte mich abschütteln.«
    Dhar bleibt erneut
stehen, als das hübsche Mädchen in ihrer Panik mit einer aufgetürmten Pyramide Mangos
kollidiert. Dhar ist Gentleman genug, um abzuwarten, bis ihm der Verkäufer einen
Weg durch die am Boden verstreuten Früchte gebahnt hat, doch als er die Frau das
nächste Mal einholt, ist sie tot. Eine Kugel sitzt mitten zwischen ihren weit aufgerissenen
Augen, die Dhar ihr höflich zudrückt.
    Seine Stimme sagt:
»Schade, daß ich nicht der einzige war, der sie verfolgt hat. Offenbar gab es noch
jemanden, den sie nicht abschütteln konnte.«
    [161]  Als der alte
Mr. Sethna Dr. Daruwalla junior so im Ladies’ Garden sitzen sah, war er überzeugt,
daß er

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