Zirkuskind
gelegentlich auf Schnappschüssen
zu sehen war, wie er Inspector Dhar die Tür seines Ambassadors aufhielt. Auf der
Tür prangte der rote Kreis mit dem T darin (für Taxi) und der Name seiner Firma,
der zumeist teilweise verdeckt war.
VINOD’S BLUE
NILE, LTD.
Nicht great, wohlgemerkt.
Dhar war der einzige
Filmstar, der Vinods Taxi-Service in Anspruch nahm; und der Zwerg genoß die gelegentlichen
Auftritte mit seinem »beliebten Inspector« in den Klatschspalten der Filmpresse.
Vinod hoffte geduldig, andere Filmstars würden Dhars Beispiel folgen, aber Dimple
Kapadia, Jaya Prada, Pooja Bedi und Pooja Bhatt – ganz zu schweigen von Chunky Pandey
und Sunny Deol oder Madhuri Dixit und Moon Moon Sen –, um nur einige zu nennen,
hatten es allesamt abgelehnt, die »Luxustaxis« des Zwergs zu benutzen. Möglicherweise
glaubten sie, es könnte ihrem Ruf schaden, wenn sie mit Dhars Schläger gesehen wurden.
Was das »Herumgondeln«
zwischen dem Oberoi Towers und dem Taj Mahal betraf, so war das Vinods bevorzugtes
Revier für Schwarzfahrten. Der Zwerg wurde von den Portiers respektiert und gut
behandelt, denn wann immer sich Dhar in Bombay aufhielt, wohnte er im Oberoi Towers und im Taj Mahal. Da er stets in beiden
Hotels eine Suite gemietet hatte, war ihm ein guter Service sicher; denn solange
beide Hotels wußten, daß sie Konkurrenten waren, übertrafen sie sich gegenseitig
in ihrem Bemühen, Dhar so gut wie möglich abzuschirmen. Die Hausdetektive wiesen
Autogrammjäger und sonstige Prominentenjäger barsch ab. Wer das ausgegebene, sich
ständig ändernde Paßwort nicht kannte, bekam an der Rezeption beider Hotels die
Auskunft, daß der Filmstar nicht hier logiert.
[232] Mit »Zeit totschlagen«
meinte Vinod, daß er noch zusätzlich Geld verdiente. Der Zwerg hatte ein besonderes
Geschick, in der Halle beider Hotels unglückliche Touristen auszumachen, denen er
anbot, sie in ein gutes Restaurant zu fahren oder wohin sie sonst wollten. Vinod
hatte auch ein Talent, Touristen aufzuspüren, die traumatische Taxierlebnisse hinter
sich hatten und folglich anfällig für die Verlockungen seines »Luxus«-Service waren.
Dr. Daruwalla war
klar, daß der Zwerg seinen Lebensunterhalt schlecht davon bestreiten konnte, daß
er nur ihn und Dhar herumkutschierte. Mr. Garg war da schon ein regelmäßigerer Kunde.
Farrokh war auch mit Vinods »Benachrichtigungssystem« vertraut, für das sich dieser
Inspector Dhars Prominentenstatus bei den Portiers des Oberoi Towers und des Taj
Mahal zunutze gemacht hatte. Es war zwar umständlich, für Vinod aber die einzige
Möglichkeit, »auf Abruf« zur Verfügung zu stehen. In Bombay gab es keine Telefonzellen,
und Autotelefone waren unbekannt – ein lästiges Manko im Privattaxigeschäft, über
das sich Vinod immer wieder beklagte. Es gab Funkrufempfänger oder »Piepser«, aber
die wollte der Zwerg nicht benutzen. »Ich ziehe es vor durchzuhalten«, behauptete
er, womit er meinte, daß er auf den Tag wartete, an dem Telefonzellen sein Taxiunternehmen
aufwerten würden.
Folglich hinterließen
Farrokh oder John D., wenn sie den Zwerg brauchten, beim Portier des Taj Mahal oder
des Oberoi Towers eine Nachricht für ihn. Aber es gab noch einen anderen Grund,
warum sich Vinod rufen ließ. Er tauchte nicht gern unangekündigt in Dr. Daruwallas
Apartmenthaus auf; in der Eingangshalle gab es nämlich kein Telefon, und Vinod weigerte
sich, sich als »Dienstboten« zu betrachten – und dementsprechend die Treppen bis
in den sechsten Stock hinaufzusteigen. Beim Treppensteigen war seine Kleinwüchsigkeit
ein Handicap. Dr. Daruwalla hatte in Vinods Namen bei der Hausbewohnergemeinschaft
protestiert. Zunächst hatte Farrokh damit [233] argumentiert, daß der Zwerg ein Krüppel
sei – Krüppel dürfe man nicht dazu zwingen, die Treppe zu benutzen. Die Hausbewohnergemeinschaft
hatte dagegengehalten, Krüppel sollten sich nicht als Dienstboten verdingen. Dr.
Daruwalla hatte damit gekontert, daß Vinod ein unabhängiger Unternehmer sei und
niemandes Dienstbote. Schließlich besaß der Zwerg ein privates Taxiunternehmen.
Ein Chauffeur ist ein Dienstbote, behaupteten die Hausbewohner.
Ohne Rücksicht auf
diese absurde Regelung hatte Farrokh Vinod klargemacht, daß er, falls er je in Dr.
Daruwallas Wohnung im sechsten Stock kommen müsse, den ausschließlich den Bewohnern
vorbehaltenen Aufzug benützen solle. Doch sooft Vinod in der Halle stand und auf
den Lift wartete – egal wie spät es
Weitere Kostenlose Bücher