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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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als Hauptdarsteller genannt war. Er hatte den Jean
in Strindbergs Fräulein Julie gespielt, Christopher Mahon in John Millington Synges Ein wahrer Held, den Achilles in Kleists Penthesilea, den Fernando in Goethes Stella, den Iwan in ◊echovs Onkel Vanja, den Antonio in Shakespeares Kaufmann von Venedig – einmal auch den Bassanio. Shakespeare
auf deutsch klang für Farrokh sehr fremdartig. Es deprimierte ihn, daß er die Tuchfühlung
mit der Sprache seiner verliebten Jahre verloren hatte.
    Endlich fand er
einen Stift. Dann entdeckte er einen Notizblock unter einer silbernen Statuette
von Ganesh als Säugling. Der kleine elefantenköpfige Gott saß auf dem Schoß seiner
Menschenmutter Parvati – eine niedliche Darstellung. Leider hatte Farrokh seit der
grotesken Reaktion auf Inspector Dhar und der Käfigmädchen-Killer die Nase voll von Elefanten. Das
war ungerecht, denn der Gott Ganesh hatte lediglich einen Elefantenkopf und ansonsten
vier Menschenarme mit Menschenhänden und Menschenfüßen. Außerdem hatte Lord Ganesha
nur einen intakten Stoßzahn – auch wenn er den abgebrochenen manchmal in einer seiner
vier Hände hielt.
    Ganesh hatte wirklich
keine Ähnlichkeit mit der Zeichnung [227]  jenes unpassend fröhlichen Elefanten, der
dem Mörder im letzten Inspector-Dhar-Film als Signatur diente – mit dieser unangemessenen
Karikatur, die der Leinwandmörder den getöteten Prostituierten auf den Bauch gemalt
hatte. Dieser Elefant war kein Gott. Außerdem waren seine beiden Stoßzähne unversehrt.
Trotzdem hatte Dr. Daruwalla von Elefanten genug – in jeder Form. Er wünschte, er
hätte sich bei Kommissar Patel nach den Zeichnungen des echten Mörders erkundigt,
denn die Polizei hatte der Presse lediglich mitgeteilt, daß es sich bei der künstlerischen
Darstellung des echten Mörders und Karikaturisten um »eine offensichtliche Variation
des Filmthemas« handelte. Was genau bedeutete das?
    Diese Frage beunruhigte
Dr. Daruwalla, der sich mit Schaudern an den Ursprung seiner Idee zu dem zeichnenden
Mörder erinnerte, zutiefst; die Anregung stammte nämlich von einer echten Zeichnung
auf dem Bauch eines echten Mordopfers. Vor zwanzig Jahren war Dr. Daruwalla als
Arzt an den Schauplatz eines Verbrechens gerufen worden, das nie aufgeklärt wurde.
Jetzt behauptete die Polizei, ein Mörder habe die Idee mit dem grinsenden Elefanten
aus einem Film gestohlen, aber der Drehbuchautor wußte, woher die ursprüngliche
Idee stammte. Er hatte sie einem Mörder gestohlen – möglicherweise demselben Mörder.
Und der würde wissen, daß er in dem jüngsten Inspector-Dhar-Film nachgeahmt wurde.
    Damit bin ich überfordert,
wie üblich, stellte Dr. Daruwalla fest. Er beschloß, Detective Patel darüber zu
informieren – für den Fall, daß dieser es nicht bereits wußte. Aber woher sollte
Patel das wissen? überlegte Farrokh. Dinge zu hinterfragen war des Doktors zweite
Natur. Und auch wenn er im Duckworth Club von der Gelassenheit des Kommissars beeindruckt
gewesen war, konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Detective Patel etwas
verschwiegen hatte.
    Farrokh unterbrach
diese unliebsamen Gedanken so schnell, [228]  wie sie ihm gekommen waren. Er setzte
sich neben den Anrufbeantworter und drehte die Lautstärke zurück, bevor er auf den
Knopf drückte. Noch immer unbemerkt, hörte der heimliche Drehbuchautor die telefonischen
Nachrichten ab.
    Die Hunde aus dem ersten Stock
    Sobald
Dr. Daruwalla Ranjits quengelnde Stimme hörte, bereute er seinen Entschluß, auch
nur eine Minute von Dhars und Julias Gesellschaft geopfert zu haben, um den Anrufbeantworter
abzuhören. Obwohl Ranjit ein paar Jahre älter war als der Doktor, hatte er sich
sowohl seine unangemessenen Erwartungen als auch seine »jugendliche Entrüstung«
bewahrt. Erstere fanden ihren Niederschlag in seinen unablässigen Heiratsannoncen,
die Dr. Daruwalla für einen Arzthelfer Mitte Sechzig unpassend fand; Ranjits jugendliche
Entrüstung zeigte sich am deutlichsten in seinen Reaktionen auf die Frauen, die
ihn, nachdem sie ihn kennengelernt hatten, abwiesen. Natürlich hatte Ranjit nicht
die ganze Zeit Heiratsanzeigen aufgegeben, aber die ersten reichten zurück in die
Anfangszeit seiner Anstellung als Sekretär bei Farrokhs Vater. Im Anschluß an erschöpfende
Vorgespräche hatte sich Ranjit mit Erfolg verheiratet – lange vor Lowjis Tod, so
daß dieser erneut in den Genuß des vorehelichen Fleißes seines Arzthelfers kam.
    Aber Ranjits Frau
war

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