Zitadelle des Wächters
gemacht, und Tessa gelangte an Bord des Schiffes Silbermädchen, das den Kirchow hinunter bis zum G’rdellianischen Meer fuhr. Unterwegs lief es in Eleusynnia und Voluspa an, um dann nach Talthek weiterzusegeln, wo die Nachfrage nach g’rdellianischen Konkubinen die höchsten Preise auf der Welt einbrachte – Summen, die den Kaufpreis an Tessas Vater winzig erscheinen ließen. Es war eine zivilisierte Welt … aber nur, wenn sie gerade Lust dazu hatte.
So segelte Tessa jetzt in einer Kabine voller anderer unglücklicher junger Frauen zum südlichen Ende des G’rdellianischen Meeres. Tessa wußte, daß die Regierung von Eleusynnia den Sklavenhandel bekämpfte und daß sie in Sicherheit sein würde, wenn es ihr gelang, von Bord zu gelangen, sobald die Silbermädchen in dieser großartigen Stadt vor Anker ging. Tessa war an einem Lebensabschnitt angelangt – ihr Leben hatte bislang nur aus einer unaufhörlichen und konturlosen Aneinanderreihung von Ereignissen bestanden –, wo sie entweder ihr eigenes Leben leben oder sterben mußte. Das Leben, das sich bisher vor ihr ausgebreitet hatte, war es, auf einen Nenner gebracht, nicht wert, als solches bezeichnet zu werden.
Sie wollte versuchen, das Glück am Schopf zu packen, sagte sie sich, als sie in der Dunkelheit in der Koje lag und dem Knattern der Segel im Nachtwind, dem Stöhnen des hölzernen Decks und den gelegentlichen Befehlen lauschte, die die Schiffsmannschaft sich zugrunzte.
Tessa erzählte niemandem von ihrem Plan, noch nicht einmal ihren Mitgefangenen, von denen ihr keine vertrauenswürdig erschien. Die meisten kamen aus noch schlechteren Verhältnissen als Tessa, die Tochter eines Schäfers: Straßenhuren, Waisen oder noch schlimmer: Bettler. Tessa lauschte ihrem Genörgel und Gelächter, und ihr fielen dabei ihre ungebildeten Akzente auf. Sie versuchte den Herkunftsort der Betreffenden herauszufinden. Eine stammte eindeutig aus einer nördlichen Siedlung am Cairn-Fluß. Eine andere aus der Gosse von Hok in Pindar. Wieder andere kamen aus den Hinterwäldler-Provinzen bei Baadghizi. Sie alle empfingen Tessa zunächst mit Mißtrauen, das sich später in Feindseligkeit verwandelte, weil sie an ihren groben Vergnügungen nicht teilnehmen wollte.
Außerdem gab es noch ein Problem: die Mannschaft. Hartgesottene Männer, denen während der langen Fahrt nur wenige Freuden zuteil wurden. Und sie waren mehr als einverstanden mit den Möglichkeiten, die sich angesichts eines ganzen Raums voller zukünftiger Konkubinen als Fracht ergaben. Mit dem Ende jeder Schicht kamen ganze Invasionen zu spontanen Feiern und endlosen Schmähungen herunter.
Als die Silbermädchen dann Eleusynnia erreichte, war es Tessa egal, ob sie leben oder sterben würde, Sie wußte nur eins: Mit diesem Schiff würde sie nicht mehr weitersegeln. Sie haßte ihren Vater, und sie haßte die anderen Frauen; und sie wollte die Männer umbringen, alle Männer umbringen. Männer waren Tiere – schnaufende, schwitzende, stinkende Tiere –, die kein Wort mit ihr wechselten, sie nicht einmal ansahen, wenn sie, auf Ellenbogen und Knien abgestützt, auf ihr lagen. Sie konnte nur noch hassen.
Aber an diesem Abend kamen nach dem Schichtwechsel weniger Männer von der Mannschaft herunter, denn das Schiff war in einem Hafen vor Anker gegangen. Diejenigen, die auf Freiwache waren, schlenderten durch die nächtlichen Straßen der Stadt auf der Suche nach neuen Eroberungen. Dies war Tessas günstigste Gelegenheit. Sie stand schnell auf und suchte sich von den grölend in die Kabine eindringenden Männern einen kleinen aus. Er war schon älter,
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