Zitadelle des Wächters
Varian der Schiffsjunge und über und über voll Kümmel und Essig. Seit damals kommt er immer hierher, sobald er in Eleusynnia anlegt. Man könnte sagen, er ist der Sohn, den ich nie hatte …“ Alcessa lächelte und trank ihren Tee.
„Wo steckt er denn jetzt? Wird er bald zurückkehren? Was wird er mit mir machen?“
„Meine Güte, wie viele Fragen! Steckst du etwa in Schwierigkeiten, kleine Tessa? Die Mitternacht ist nicht die beste Zeit, um im Hafen schwimmen zu gehen.“
„Du beantwortest meine Frage mit einer Gegenfrage.“ Tessa hielt inne und schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Er, Varian, er wollte nicht einmal etwas von mir. Er hat sich nur … meiner angenommen.“
„Es gibt nicht viele Männer wie Varian“, sagte Alcessa. „Er ist ein ganz besonderer Mensch, nicht wahr?“
„Ich fange auch an, ihn dafür zu halten …“ Tessa blickte auf die Tür, durch die der fremdartige, aber freundliche Mann vor fast einer Stunde verschwunden war. Sie fragte sich, wann er wohl zurückkehren würde und was sie ihm sagen wollte. Tessa hätte der netten, alten Frau gerne erzählt, was ihr widerfahren war, aber sie fürchtete, ihre Geschichte würde sich zu melodramatisch, vielleicht sogar erfunden anhören. Und dennoch entsprach sie der Wahrheit.
So saß sie da und starrte auf das Feuer und beobachtete das ständig wechselnde Spiel der Flammen. Und Tessa verlor sich in ihren Gedanken an den Schmerz und die Demütigungen, die sie so viele Jahre gepeinigt hatten. Ein Teil ihres Ichs wollte daran glauben, daß dieses Leben nun, da Varian Hamer, der schöne Prinz aus dem Märchen, in ihr Leben getreten war, beendet war. Aber tief in ihrer Seele steckte etwas anderes: ein brennendes Mißtrauen und vielleicht sogar ein Haß auf Männer, auf alle Männer. Augenscheinlich gab es keinen unter ihnen, der nicht von seinem Ding zwischen den Beinen angetrieben, motiviert oder zumindest beeinflußt wurde.
Die Tür öffnete sich, und Tessa zuckte auf ihrem Stuhl zusammen. Fast schien es, als habe sie Angst, in die Diele zu sehen, wo er stand. Er blieb stehen, um seinen Mantel abzulegen und seinen Waffengürtel zu öffnen. Varian legte alles über einen Stuhl in der Diele. Er versuchte zu lächeln, als er das Zimmer betrat.
„Wo bist du gewesen?“ fragte Alcessa. „Unser neuer Gast hat sich um dich Sorgen gemacht.“
„Sie sollte sich lieber um sich selbst Sorgen machen. Ich war draußen, um festzustellen, wer diese Bastarde waren, die dich verfolgt haben.“
„Da hättest du bloß mich zu fragen brauchen. Ich hätte dir sagen können, um wen es sich dabei gehandelt hat.“ Tessas Stimme krächzte, und sie schämte sich deswegen.
„Aber vielleicht hätte ich dir keinen Glauben geschenkt“, sagte Varian. „Auf diese Weise konnte ich mich selbst überzeugen. Übrigens brauchst du dir keine Sorgen darüber zu machen, daß noch jemand von der Silbermädchen Nachforschungen über dich anstellt …“
„Wieso das?“ Tessa fühlte, wie alles in ihr sich bei der bloßen Erwähnung des Schiffsnamens verkrampfte.
„Ich habe ein paar Freunde in der Hafen Verwaltung. Du bist in den Listen als tödliches Opfer eines Seeunglücks registriert. Zusammen mit den Burschen, die dich im Langboot ‚eskortiert’ haben.“ Varian lächelte und ließ sich vor dem Feuer nieder. „Wie wäre es mit einer Tasse Kaffee, Alcessa?“
Die massige Frau sprang lächelnd auf die Füße. „Für dich, mein lieber Varian, tue ich doch alles!“ Und sie lachte, als sie scheinbar mühelos in die Küche abrauschte.
Wenig später kehrte sie mit einer großen Glastasse zurück, die mit einer kräftigen, schwarzen Flüssigkeit gefüllt war. Heißer Dampf wirbelte und stieg von der
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