Zitadelle des Wächters
eigenen Leben, und er wollte das ihrige kennenlernen. Sie kamen aufeinander zu, nahmen aneinander teil – sowohl geistig als auch körperlich –, und Varian wurde es immer klarer, daß mit Tessa alles anders war. Vielleicht, so lautete sein erster Gedanke, wurde er tatsächlich „reifer“, wie Leute ihm das schon oft prophezeit hatten. Vielleicht hatte er sich mittlerweile aber auch mit der Persönlichkeit akklimatisiert, die er an und in sich entdeckt hatte. Möglicherweise war es aber auch etwas ganz anderes und er spürte, daß er sich einem Wendepunkt in seinem Leben näherte, einem Schlüsselerlebnis, dem entscheidenden Moment, in dem all die Dinge, auf die er sich unterbewußt vorbereitet hatte, zum Greifen nahe vor ihm lagen …
Varian wußte darauf keine Antwort, aber er rief sich eine Bemerkung Furiosos zu diesem Problem ins Gedächtnis. Der Waffenmeister glaubte daran, daß jeder Mensch zu einem bestimmten Zweck auf der Welt sei. Einige entdeckten diesen Zweck früher, andere später. Aber dieser Punkt sei erreicht, wenn alles klar, scharf und wie in einem Fokus vor einem läge – dann wisse man, es sei soweit. Die Zeit des Wechsels und des Handelns sei gekommen.
Seit dem Moment, als Varian mit Kartaphilos gesprochen hatte, spürte Varian, daß sein Leben sich veränderte. Er wußte bereits, daß es ihm nicht länger ausreichte, sein Leben als gewöhnlicher Seemann zu beschließen. Die Welt hatte mehr anzubieten, als Segel zu raffen und salzige Meeresluft zu schmecken. Soviel hatte Varian bereits begriffen.
Und dann gab es da noch Tessa. Auf merkwürdige Weise eine Schönheit. Unschuldig und naiv, aber auch mit einer gewissen erdgebundenen Weisheit. Irgendwie konnte sie ihn innerlich so sehr bewegen, wie das noch keine Frau zuvor vermocht hatte. Sie konnte in ihn hineinreichen und dort etwas entzünden, das lange Zeit erloschen geruht hatte. Ein Blick ihrer dunklen Augen reichte dazu aus, ein Streicheln ihrer sanften Finger auf seinen Wangen oder ein einziges Wort. Diese Gesten reichten Varian aus, Tessa so zu sehen, wie sie vielleicht einmal für ihn werden könnte.
Varian bemerkte dies alles, während sie beide die zwei Tage in der Stadt des Lichts verbrachten, und er baute darauf seine Träume auf, wenn sie in der dunklen Stille der Nacht neben ihm lag und schlief.
Varian nahm nicht für sich in Anspruch, von der Liebe etwas zu verstehen. Aber in seinem Innern erwachte etwas zum Leben, und er machte sich Gedanken darüber, was aus diesem Etwas erwachsen könnte. Tessa von Prend – etwas Besonderes ging von dieser Frau aus, da war er sich ganz sicher. Eine Besonderheit, über die er sich im klaren war, sie erst kurz gekostet zu haben. In ihrer Person gab es Schichten, die er freilegen könnte, wie sie ihm andeutete, und zwar nur er. Und Varian war daran sehr interessiert.
Aber wenn Varian tiefgehender und ehrlicher sich selbst gegenüber an Tessa dachte, wußte er, daß er mehr als bloßes Interesse verspürte. Er mochte sie. Er mochte sie sehr – und die Dinge, die sie gemeinsam tun konnten.
Der beiden Tage vergingen wie im Flug, und Varian wollte, daß sie nie endeten. Am Ende der zwei Tage gab Tessa ihre Entscheidung bekannt.
Und Varian war sehr glücklich darüber.
Drei
Es machte keine Schwierigkeiten, Tessa auf der Courtesan unterzubringen. Sowohl der Kapitän als auch der Steuermann freuten sich, als Varian ihnen Tessa vorstellte. Von da an war alles andere nur noch ein „Kinderspiel“. Sie übernahm ihren Platz in der gut ausgestatteten Kombüse, wo sie mit einem kleinwüchsigen, buckligen Koch namens Farle zusammen arbeitete. Der zauberte wahre Wunder aus dem
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