Zitadelle des Wächters
Tessa und ihrer nicht enden wollenden Begeisterung über Ques’Ryad.
Varian wollte Tessa nicht verletzen und bemühte sich daher darum, ihr Interesse ebenfalls auf den Nebentisch zu lenken. „Guck dir mal den an“, sagte er und zeigte auf den alten Mann.
„Das ist vielleicht ein Unikum, was?“ sagte Tessa lachend.
Der Mann saß am jenseitigen Ende des Tisches. Er trug sein Fell-Cape wie ein König seinen Mantel. Ein Halbkreis von gespannten Zuhörern umgab ihn. Anscheinend hielt er gerade eine Erzählstunde ab. Sein Gesicht sah, rauh und sonnenverbrannt wie es war, der runzligen Oberfläche einer Mandel ähnlich. Das Haar trug den gleichen silbergrauen Schimmer wie sein Fellmantel. Er hatte wilde, blaue Augen, die eigentlich auf einen jüngeren Mann hinwiesen, als er es zu sein schien. Die große Hakennase war gebogen und spitz und sicherlich mehr als einmal gebrochen worden. Sie erstreckte sich über einem großen, vollen Mund, der von einem sauber getrimmten, schwarzweißen Bart umrahmt wurde. Der Mann hatte eine laute Stimme, aber er sprach mit Bedacht und wählte genau die richtigen Worte, um die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer nicht erlahmen zu lassen. Er hatte Talent zum Geschichtenerzählen, und er ging ganz darin auf.
Ihm zur Seite saß ein viel jüngerer und kleinerer Mann, der alle Worte des Alten mit konzentrierter Aufmerksamkeit verfolgte. Hin und wieder stieß der Alte ihn an oder fragte ihn, ob er sich an eine bestimmte Stelle der Geschichte noch mit Vergnügen erinnern könne, und der Kleine nickte, zwinkerte mit den Augen und lachte mit der Vertraulichkeit von jemandem, der mit einem zusammen durch dick und dünn gegangen ist. Varian beobachtete den Kleinen eine Zeitlang und fragte sich, ob er ihn nicht irgendwo schon einmal gesehen hatte, versuchte das Gesicht einem Namen oder einem Ort zuzuordnen. Er war ein kleinwüchsiger, aber stämmiger Typ, dessen Muskelpakete von der dicken Kleidung nicht verborgen werden konnten. Augen und Haare waren kohlrabenschwarz, die Haut glänzte von öligem Schweiß. Er hatte ein gewinnendes Lächeln, strahlend weiße Zähne, eine scharf geschnittene, eckige Nase und ein ebensolches Kinn. Der Kleine war ein schöner Mann, aber in einer unfertigen, kruden Weise.
Varian bemerkte, daß der kleine Gefährte zwar sehr angetan wirkte, aber nie ein Wort sprach. Entweder tat er das aus Ehrfurcht oder Respekt vor dem alten Mann, oder er war stumm.
„… und die Mutanten mutieren immer noch weiter im Baadghizi-Tal. Vor drei Wintern waren Raim und ich dort – nicht wahr, mein kleiner Freund? –, und wir haben Küchenschaben gesehen, so groß wie ein Stiefel. Die krabbelten dort herum, als seien sie der Herr dieses Ortes. Und das sind sie auch! Aber die Küchenschaben sind noch nicht das Beste, nein, meine Freunde. Es sind die Eidechsen, bei Gott, die schrecklichen Eidechsen!“
Einer der Anwesenden nahm den Köder auf und fragte den Alten nach den Eidechsen. Und schon sprudelte der Mann wieder los.
„Große, häßliche Schuppendinger! Sie gebären und rammeln im Tal herum, koste es, was es wolle! Bald werden es so viele sein, daß sie sich nur noch über den Rücken der anderen hinwegbewegen können, ja ihr ganzes Leben so krabbeln, ohne jemals den Boden zu berühren. Und ich sage euch, das sind vielleicht Riesenbiester. Einige von ihnen haben es schon gelernt, aufrecht auf den Hinterbeinen zu stehen wie ein Mensch. Die werden bis zu fünf oder sechs Ems hoch, und sie können einen überrennen und zum Frühstück verputzen, noch ehe man ‚Heuwägelchen’ sagen kann!“
„Wie konntet Ihr denn entkommen?“ fragte ein Zuhörer lächelnd.
„Ich? Ich entkomme jedem außer dem Knochenmann!“ Der Alte im
Weitere Kostenlose Bücher