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Zitadelle des Wächters

Zitadelle des Wächters

Titel: Zitadelle des Wächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas F. Monteleone
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Sie wa­ren ein­fach weg.
     
    Ob­wohl Raim nie sprach – er konn­te ja nicht spre­chen –, be­saß er doch einen leb­haf­ten Ver­stand und ein eben­sol­ches Auf­fas­sungs­ver­mö­gen. An vie­len Aben­den auf ih­rer Rei­se hat­te er die an­de­ren mit sei­nem Ta­lent für Pan­to­mi­ne, Ver­kör­pe­rung an­de­rer Per­so­nen und der Mu­sik sei­nes flö­ten­ar­ti­gen In­stru­ments un­ter­hal­ten, wel­ches un­ter dem Na­men Ar­this be­kannt war. Sie ver­lang­te vom Spie­ler ei­ne ele­gan­te Ge­wandt­heit sei­ner Fin­ger und da­ne­ben die Be­herr­schung der At­mung und der Lip­pen­be­we­gun­gen. Die Zun­ge muß­te her­un­ter­ge­preßt wer­den, um an­nehm­ba­re Tö­ne zu er­zeu­gen – und da man Raim die Zun­ge her­aus­ge­schnit­ten hat­te, war er be­son­ders für die Ar­this ge­eig­net.
    Der Abend war schon weit fort­ge­schrit­ten, die Mahl­zeit be­en­det, und die an­de­ren hat­ten gu­te Nacht ge­sagt und wa­ren zu Bett ge­gan­gen. Der Ro­bo­ter war vor­bei­ge­kom­men, war ge­nau­so ar­ro­gant und gleich­zei­tig zu­vor­kom­mend wie im­mer, sprach aber Raim nicht an. Der klei­ne, mus­ku­lö­se Mann fühl­te ei­ne Un­ru­he in sich, und da er doch nicht ein­schla­fen konn­te, be­schloß er, einen Spa­zier­gang durch die ver­schie­de­nen Eta­gen der Zi­ta­del­le zu ma­chen.
    In den un­ters­ten Stock­wer­ken an­ge­kom­men, hör­te er plötz­lich das Sum­men von Ma­schi­nen aus al­len Rich­tun­gen auf ihn ein­strö­men – ihr Zweck lag weit über dem, was er be­grei­fen konn­te, und des­halb ach­te­te er gar nicht wei­ter auf sie. Am Ran­de ei­nes Lauf­gangs, der zwei rie­si­ge Ge­ne­ra­to­ren mit­ein­an­der ver­band, hielt Raim an, um sich einen Mo­ment aus­zu­ru­hen. Er hol­te sei­ne Ar­this her­vor und be­gann zu bla­sen. Die Mu­sik über­tön­te das Sum­men der Ma­schi­nen, schi­en sich im­mer wei­ter aus­zu­deh­nen und warf schließ­lich Echos durch den gan­zen rie­si­gen Saal. Die­ser akkus­ti­sche Ef­fekt klang so an­ge­nehm, daß Raim ver­sucht wur­de, lau­ter zu spie­len.
    Raim hat­te ein be­son­de­res Ver­hält­nis zur Mu­sik. Im­mer­hin war sie die ein­zi­ge Art von Klän­gen, die er er­zeu­gen konn­te, und er pfleg­te sei­ne Be­ga­bung auf der Ar­this. Mu­sik war sei­ne Mög­lich­keit, sei­ne Ge­dan­ken und Ge­füh­le aus­zu­drücken. Er ließ sei­ne See­le in das klei­ne In­stru­ment ein­flie­ßen und er­wärm­te sich an den teil­nahms­vol­len Klän­gen.
    Wäh­rend er so spiel­te, er­schi­en ihm die dunkle Vi­si­on.
    Aus dem Schat­ten der schwe­ren Ma­schi­nen er­wuchs ei­ne große, ver­schwom­me­ne Ge­stalt. Sie war schwär­zer als Schwarz und au­ßer­dem so sub­stanz­los wie wir­beln­der Rauch. Ihr Ge­sicht war we­gen der tief her­un­ter­ge­zo­ge­nen Ka­pu­ze und des schwe­ren Man­tels, der die gan­ze Ge­stalt be­deck­te und wie flüs­sig wirk­te, kaum zu er­ken­nen.
    Die sanf­ten Klän­ge der wal­zer­ähn­li­chen Me­lo­die erstar­ben in Raims Keh­le, als er auf­sah und die­ses Alp­traum­we­sen ent­deck­te, das be­droh­lich über ihm auf­rag­te. In Se­kun­den­bruch­tei­len war er auf­ge­sprun­gen und hat­te sein Kurz­schwert ge­zo­gen. Aber wie er­starrt stand er da, als das We­sen ihn an­sprach.
    „Dei­ne Waf­fe kann mir nichts an­tun … al­so schwei­ge und hö­re zu.“
    Wer bist du? schrie Raim in Ge­dan­ken.
    Und das We­sen schi­en ihn zu ver­ste­hen. „Ich hei­ße Plu­to“, sag­te es. Die Stim­me be­saß ei­ne un­be­stimm­ba­re Re­so­nanz, war tief und ge­wal­tig.
    Was willst du von mir?
    „Du spielst sehr schön, Raim.“
    Was willst du? Raim dach­te gar nicht dar­an, das Schwert weg­zu­ste­cken. Er hielt es im­mer noch aus­ge­streckt, be­reit, sich bei ei­nem An­griff so­fort zu ver­tei­di­gen.
    „Der Klang dei­ner Mu­sik ist so süß wie einst Ma­ri­se war.“
    Der Na­me sei­ner vor Jah­ren ver­stor­be­nen Frau durch­bohr­te Raim wie die Spit­ze ei­nes Schwerts. Sei­ne Ar­me san­ken her­ab, als die Er­in­ne­run­gen durch sei­nen Kopf ström­ten: ei­ne zier­li­che, dun­kel­äu­gi­ge Frau, ei­ne Stim­me wie die ei­ner Nach­ti­gall, die ra­schen, flat­ter­haf­ten Ges­ten und

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