Zitadelle des Wächters
hielt Hera für eine Art Zauberin – sie hatte die Skulptur irgendwo in ihrem Gewand getragen, aber dieses war so transparent, so fein und so eng anliegend … wo hatte sie die Skulptur bloß vorher versteckt?
„Eine besondere Aufgabe?“ sagte er schließlich.
„Ja“, sagte Athene. Das dunkle Haar fiel sinnlich über ihr Gesicht. „Die Skulptur wurde mit einer kurzen Nachricht gefunden, die verfügte, daß der Apfel der schönsten Frau auf dem Bankett gebühre.“
„Eigentlich“, sagte Aphrodite, „hieß es dort, der reinsten. Alle beanspruchten die Skulptur für sich, bis in der Endausscheidung nur noch drei übriggeblieben sind.“
„Ich fürchte, da komme ich nicht ganz mit“, sagte Varian. Er hielt immer noch die Pistole in der Hand. Er weigerte sich eigentlich, sie wegzustecken, denn er traute der Geschichte der Frauen nicht so recht – er hielt sie eher für Homologs des Wächters. „Könntet Ihr mir denn vielleicht sagen, was das für ein Bankett war und wo Ihr hergekommen seid? Ich war nicht darauf gefaßt, hier auf jemanden zu treffen, wißt ihr …“
Hera lächelte. „Es war das Bankett vom König Peleus und der Thetis. Natürlich hat es auf dem Olymp stattgefunden. Aber wir haben wenig Zeit und erbitten Eure Hilfe.“
„Ja, das tun wir“, sagten Athene und Aphrodite gleichzeitig.
Varian war verwirrt, und irgendwie hatten die Frauen ihn eingeschüchtert. Er hatte noch nie von diesem König und seiner Begleiterin gehört – und genausowenig vom Olymp. Aber sein Verstand hielt sich daran auch gar nicht auf. Er schien sich nur auf Heras letzte Worte konzentrieren zu können: Sie benötigten seine Hilfe. „Was kann ich denn für Euch tun?“
„Das liegt doch eigentlich auf der Hand, oder?“ meinte Athene. „Wir möchten, daß Ihr unser Richter seid. Ihr sollt entscheiden, welche von uns die Schönste ist …“
„Dem ist so“, sagten die beiden anderen.
Seine Gedanken gerieten in Aufruhr. Die Vorstellung, zwischen diesen drei Frauen zu entscheiden, drohte seinen Verstand zu sprengen. Er fragte sich, ob er zu einem solchen Urteilsspruch überhaupt fähig war. Jede einzelne von ihnen war auf ihre Weise so einzigartig exotisch, so geheimnisvoll anziehend – bei dieser Wahl mußte jeder Mann versagen.
„Ich weiß nicht, wie ich das anfangen soll.“
„Oh, Ihr könnt es aber“, sagte Athene.
„Doch sicher werdet Ihr etwas Zeit benötigen, um darüber nachdenken zu können“, sagte Aphrodite. „Dafür haben wir Verständnis.“
„Deshalb“, sagte Athene, „werden wir Euch jetzt für einige Zeit allein lassen. Danach kehren wir zurück, um Eure Entscheidung zu hören.“
Bevor Varian etwas einwenden konnte, drehten alle drei Frauen sich um und glitten rasch durch eine Lücke im Dickicht der Bäume davon. Er sprang ihnen hinterher, um sie einzuholen, mußte aber feststellen, daß sie spurlos verschwunden waren. Kein Geräusch ertönte mehr. Kein Beweis war mehr vorhanden, der davon künden konnte, daß sie je hiergewesen waren. Varian beschlich ein Gefühl, mit dem er nur selten zuvor zu tun gehabt hatte. Er war ein Mann, der sich bestens mit Duellen, Hinterhalten, Seeüberfällen und anderen Gefechten auskannte, aber er hatte nie die Wucht der kalten Angst gespürt, die jetzt durch seinen Körper schoß.
Hinter ihm ertönte ein Geräusch.
Blitzschnell wirbelte er herum und sah sich der rätselhaften Hera gegenüber. Sie stand allein vor ihm und lächelte ihn madonnenhaft an. Ihr kastanienbraunes Haar fiel ganz locker auf die Schultern hinab.
„Hab keine Angst“, sagte sie, „ich bin gekommen, um dir einen Handel vorzuschlagen.“
„Wie bitte?“ Varian war jetzt völlig verwirrt.
„Eigentlich eine ganz einfache Sache. Falls du mich
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