Zitadelle des Wächters
hat.“
Kartaphilos nickte und bedeutete dann Varian mit einem Handzeichen, ihm von ihren Erlebnissen in der Zitadelle zu berichten. Sie erzählten ihm möglichst genau von allem und versuchten sogar, einige spezifische Aspekte ihrer Illusionen zu rekonstruieren. Als sie alles gesagt hatten, schüttelte Kartaphilos den Kopf und schmunzelte.
„Was ist denn daran so komisch?“ fragte Stoor.
„Oh, direkt komisch ist daran nichts … ich glaube nur, ich weiß jetzt, was der Wächter macht. Nicht uninteressant in diesem Zusammenhang.“
„Nicht uninteressant!? Das freut mich aber wirklich, daß du so denkst!“ Stoor stampfte durch das Zimmer und regte sich immer mehr auf.
„Und was hat das zu bedeuten?“ fragte Tessa.
Kartaphilos rieb sich gedankenverloren das Kinn, als suche er nach der passenden Einleitung. „Ich bin mir nicht sicher, ob das alles so richtig ist, bedenkt das bitte, aber ich glaube, es ergibt einen Sinn …“
„Wie bewirkt der Wächter die Illusionen?“ fragte Varian.
„Ich kenne mich mit den Einzelheiten dieser Technik nicht aus, aber ich weiß wohl, daß es etwas damit zu tun hat, wie sich die Leute der Ersten Zeit unterhalten haben.“
„Unterhaltung?“ fragte Tessa.
„Ja. Mit halluzinatorischen Mitteln wie Chemikalien oder Gasen kann man den Verstand dazu bringen, mit den Sinnen Eindrücke so aufzunehmen, wie der Manipulator das haben will. Die Zuschauer versammelten sich gewöhnlich in großen Amphitheatern, um Gruppenillusionen zu empfangen – genau wie jene, mit denen euch der Wächter konfrontiert hat.“
„Aber warum ?“ fragte Varian.
„Ich glaube, der Wächter betreibt Psychoanalyse.“
„Wie bitte? Was ist denn das?“ fragte Tessa.
„Eine Art Selbstbeobachtung, die unter den Leuten der Ersten Zeit sehr verbreitet war. Eine ganze Menge Theorien von Philosophen und Denkern vereinigten sich darin, und es wimmelte nur so von verschiedenen Techniken. Ich glaube, der Wächter weiß, daß er einen psychischen Schaden hat, daß er wahnsinnig ist, und er versucht, sich selbst zu kurieren, sich selbst psychisch zu befreien.“
„Ich fürchte, wir können dir da nicht folgen“, sagte Stoor, den der Redefluß offensichtlich überfordert hatte. Er war ein Mann der Tat, der schnellen Entschlüsse. Nachdem er die Macht des Kyborgs erlebt hatte, kannte er nur noch einen Wunsch: sich den Weg aus der Zitadelle freizuschießen.
„Habt Geduld, ich versuche, alles zu erklären“, sagte Kartaphilos. „Die Illusionen, die euch begegneten, sind lediglich Aufgaben aus den Sagen der Menschheit. Das meiste von dem, was ihr mir erzählt habt, läßt sich leicht als Legenden und Sagen aus den Anfängen der Ersten Zeit wiedererkennen. Ich wundere mich sowieso, daß nicht mehr davon bis zur gegenwärtigen Zeit überlebt haben.“
Stoor fuhr blitzartig herum und sagte: „Natürlich! Das ist es! Ich wußte, der Name war mir schon einmal begegnet …“
„Welcher Name?“ fragte Tessa.
„Zeus meine ich. Er galt früher als Gott oder so etwas Ähnliches. Als Schöpfer der Welt und ähnlicher Humbug. Ich habe den Namen in einigen Manuskripten und ähnlichem Zeugs entdeckt, das ich meinem Auftraggeber gebracht habe. Der Kram war schon sehr alt, ich meine wirklich alt. Aus der Zeit, als die Erste Zeit noch in ihren Kinderschuhen steckte.“
„Das stimmt“, sagte Kartaphilos. „Die Menschen aus der Antike haben sich gerne der Kraft der Mythen bedient. Sagen waren der große Ausgleichsfaktor, um die Welt zu verstehen. Solange es keine naturwissenschaftliche Erklärung gab, solange das menschliche Wissen von Barrieren begrenzt wurde, solange blühten Mythen. Diese waren als Methode immer beliebt,
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