Zitronen im Mondschein
gebogenen Enden ihrer Wimpern saßen kleine Klümpchen schwarzer Schminke.
Sie sieht unmöglich aus mit ihren geschminkten Augen und den gefärbten Haaren, dachte Mira.
»Du kannst in der Rheinterrasse anrufen, dass es mir schlecht geht«, sagte sie. »Dadurch hilfst du mir am meisten.«
»Diese erbärmliche Serviererei! Damit ruinierst du dir nur die Gesundheit, Mirabella.«
»Damit verdiene ich die Miete und alles andere auch. Und du profitierst oft genug von meinen Einkünften. Vor allem am Monatsende kommt dir meine erbärmliche Serviererei sehr gelegen.«
Ihre Mutter betrachtete mit gerunzelter Stirn eine Postkarte, die Mira mit einer Reißzwecke an die Wand gesteckt hatte.
Sommergrüße aus Stettin
stand in schwungvollen Lettern über dem Bild einer winkenden Schönheit. »Wer schreibt dir denn aus Stettin?«, fragte sie, als hätte sie Miras letzte Worte nicht gehört.
Die Karte war von einer Bekannten, die sich verheiratet hatte und nach Pommern gezogen war. Mira hatte sie aufgehängt, um einen Fleck auf der Wand zu verbergen. Aber sie wollte jetzt weder über die Bekannte reden noch über den Fleck. Sie wollte überhaupt nicht reden.
»Tust du mir nun den Gefallen oder nicht?«, fragte sie.
»Gleich.« Ihre Mutter ging zum Fenster und riss die beiden winzigen Flügel so weit auf, dass sie beängstigend knarrten. »Ich habe einen Großauftrag von Austermühl bekommen.«
Austermühl, das war die Hutfabrik, für die ihre Mutter als Putzmacherin arbeitete. Aber weil ausladende, verzierte Hüte schon vor dem Krieg aus der Mode gekommen waren, hatte sie meist sehr wenig zu tun. Mira fragte sich, warum sie die Hutmacher überhaupt noch beschäftigten, vielleicht hatten sie Mitleid mit ihr, oder sie fanden wirklich Gefallen an den exzentrischen Dekorationen, die sie für sie entwarf. Aber gleich ein Großauftrag?
»Vier Dutzend Hüte«, erklärte ihre Mutter. »Sie müssen bis zum Ende des Monats fertig sein.«
»Und warum erzählst du mir das?«
»Ich dachte, du willst dir vielleicht ein paar Groschen dazu verdienen.«
»Mutter!«, sagte Mira. Sie musste sich jetzt richtiggehend zusammenreißen, damit sie nicht laut wurde. »Ich habe als Servierfräulein ein gutes Auskommen und überdies mehr als genug zu tun.«
»Schon recht.« Ihre Mutter hob beide Hände, dann ließ sie sie wieder fallen. »Aber vielleicht kennst du jemanden, der mir behilflich sein könnte.«
»Frag Gudrun. Sie weiß bestimmt jemanden.« Mira schloss die Augen und drehte den Kopf zur Wand. Die Übelkeit war nicht weg, sie hockte irgendwo in ihrem Bauch und lauerte. »Oder warte … Kiesemann hat vor einigen Wochen einem Mädchen gekündigt … Hilde Kanzinger. Sie wohnt in der Concordiastraße. Numero zehn, wenn ich mich nicht irre.«
»Ist sie geschickt?«, fragte ihre Mutter.
»Ich denke schon«, sagte Mira, obwohl sie sich nur noch daran erinnerte, dass Hilde furchtbar nach Schweiß gestunken hatte. Das war auch der Grund gewesen, warum sie Herr Kiesemann gleich ein paar Tage nach ihrer Einstellung wieder entlassen hatte. Auch wenn es so natürlich nie gesagt worden war.
»Concordiastraße 10«, wiederholte ihre Mutter. »Das ist gleich um die Ecke.«
»Aber ruf vorher in der Rheinterrasse an! Versprichst du mir das?«
»Natürlich.«
Natürlich hatte ihre Mutter nicht angerufen.
Die Telefonverbindung war gestört. Das dumme Ding, das den Anruf entgegengenommen hat, hat vergessen, es auszurichten. Ich hatte auf dem Weg zum Postamt eine böse Vorahnung.
Irgendeine Ausrede hätte sie Mira präsentiert, wenn diese sie auf die Sache angesprochen hätte. Aber Mira sprach sie nicht darauf an. Sie ließ Herrn Kiesemanns Vorwürfe schweigend über sich ergehen. Während er redete, starrte sie auf ihre Fußspitzen und verwünschte ihre Mutter, auf die man sich nicht verlassen konnte, und Gudrun, die ihr das Ganze eingebrockt hatte, und sich selbst, weil sie so schwach war. Sie wurde aber nicht gekündigt, obwohl draußen vor der Tür Hunderte von Mädchen auf eine Anstellung wie ihre warteten, wie Herr Kiesemann sagte.
Mira zog das Tablett zu sich heran, das der Koch aus der Küche geschoben hatte. Vier Teller mit Kalbsbraten und Kartoffeln. Ihre Oberarme brannten, als sie es hochhob und sich einen Weg durch den eng besetzten Raum zur Terrasse bahnte.
Während sie ging, wandte sie den Kopf zur Seite, um den Geruch der Bratensoße nicht einatmen zu müssen. Sie wurde allein vom Servieren satt bis zum Überdruss. Bei den
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