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ZITRONENLIMONADE (German Edition)

ZITRONENLIMONADE (German Edition)

Titel: ZITRONENLIMONADE (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marleen Reichenberg
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einem
Hocker ohne Lehne und Griffe, von dem aus ich kontrolliert auf den mit weichen
Matten ausgelegten Boden hinunter glitt.
    Franzi leistete Hilfestellung, damit
ich nicht zu schnell herunter plumpste. Sie gab mir Anleitung, wie ich in den
Vierfüßlerstand gehen konnte. Ich fühlte mich total desorientiert und seltsam,
meine gesamte Erinnerung ans Krabbeln und wie das technisch funktioniert, war
weg! War wohl alles in Zellen abgespeichert, die - um mit den Worten des
Grünschnabels zu sprechen - unwiderruflich kaputt gegangen waren! Franzi
versicherte mir, auch das könne ich wieder lernen.
    Am Ende der Stunde gab sie mir
Hilfestellung, wie ich wieder in den Rolli zurückkam. Doch allein fehlte mir
dazu noch total die Kraft, ich schaffte es nur, weil sie mich massiv stützte.
     
    Als ich gerade den Trainingsraum
verließ, wurde ein Patient an mir vorbei geschoben, den ich schon öfter von
weitem gesehen und der einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen hatte. Er war
noch jung und von der Länge des Betts zu schließen, sehr groß.
    Juan war ein neunzehnjähriger Spanier,
der ebenfalls durch einen selbst verschuldeten Verkehrsunfall wegen zu schnellem
Fahren schwer verunglückt war, lange im Koma lag und auch jetzt, nach einem
halben Jahr, gelähmt nur in seinem Spezialbett liegen konnte. Wie mir Schwester
Andrea erzählte, hatte Juan noch vier unschuldige andere, eine Familie mit zwei
Kindern, mit seiner Raserei umgebracht. Sein schmales Gesicht mit   den ausdrucksvollen dunklen Augen wirkte wie
das eine spanischen Granden und um seine schwarzen Locken hätte ihn jede Frau
glühend beneidet; in krassem Gegensatz zu seinem sagenhaften Aussehen aber
stand sein ständiger schmollender griesgrämiger Gesichtsausdruck. Seine Eltern,
zwei magere aufopferungsvolle Menschen mit tiefen Falten in ihren müden
Gesichtern, waren die meiste Zeit bei ihm und erfüllten seine Wünsche. Seine
geballte Wut über seinen Zustand ließ er an ihnen aus - oft hörte ich ihn
irgendetwas auf Spanisch brüllen oder zischen - und sie ertrugen es stoisch.
    Die Pflegekräfte hatten viel Arbeit mit
Juan, da er nicht gewillt war, auch nur das kleinste Bisschen bei seiner
Genesung mit zu arbeiten. Alle Versuche, ihn etwas härter anzufassen, scheiterten
an Mama und Papa, die ihn total verzärtelten. Ich fragte mich die ganze Zeit,
während der er sich in der Frühreha   aufhielt, ob er vor seinem Unfall ähnlich bösartig gewesen oder erst
dadurch so geworden war. Am kommenden Tag sollte er endgültig entlassen werden
und ich wagte mir nicht auszumalen, was seine Eltern dann erst mit ihm
mitmachen würden. Aber eine gewisse Mitschuld konnte ich ihnen nicht absprechen.
    Und vor allem: Sie taten ihm keinen
Gefallen, denn was würde passieren, wenn sie sich mal nicht mehr um ihn kümmern
konnten?
     
    Zwei Tage später hatten sich meine Eltern
zu ihrem ersten Besuch angesagt, da an diesen Nachmittag keine Therapien auf
meinem Plan standen. Auch sie trafen gerade zur Mittagessenszeit ein, verkrafteten
aber das übliche sich ihnen bietende Szenario im Aufenthaltsbereich wesentlich
souveräner als Mark. Sie zuckten nicht mit der Wimper, als sie den Raum betraten,
erspähten mich sofort und kamen strahlend auf mich zu. Zuerst umarmte mich
Mama, danach Papa.
    Freundlich grüßten sie in die gesamte
Runde, Mama begann gleich ein lebhaftes Gespräch mit Frau Sanbacher, die neben
mir ihrem Mann das Essen klein schnitt und ihn ermutigte, seine Gabel in die
rechte Hand zu nehmen und damit ein Stück Fleisch aufzuspießen. Er bemühte sich
unendlich und als es ihm gelang, strahlte der früher so einflussreiche mächtige
Mann plötzlich übers ganze Gesicht. Seine Frau freute sich mit ihm und Mama hatte
keinerlei Scheu, ihn ebenfalls dafür zu loben. Papa lächelte mich an.
    "Chris, du siehst viel besser aus
als noch im Krankenhaus. Du hast mehr Farbe im Gesicht"   -   "Klar Papa, jetzt bin ich wieder in der
Lage, mich jeden Morgen zu schminken," schmunzelte ich, aber er fuhr
ungerührt fort, "und deine Augen strahlen Tatkraft und Energie aus,
außerdem bewegst du deine Hand und deinen Arm wesentlich flüssiger. Du isst ja
sogar schon mit Messer und Gabel!" Ja, darauf war ich wirklich stolz!
     
    Es kostete mich immer noch viel
Konzentration, mit der rechten Hand gezielte Bewegungen auszuführen, manchmal
klappte es auch nicht und ich griff daneben, erwischte statt dem Messer die
Serviette oder ergriff den Tellerrand, aber die Treffer steigerten sich!

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