ZITRONENLIMONADE (German Edition)
Bein, das für den Spaziergang auf der
Fußstütze parkte, bewegte ich so oft wie möglich, damit alle sahen, dass meine
Beine nicht beide gelähmt waren…
Jedenfalls hätte ich alles, aber
wirklich alles drum geben, auf meinen eigenen Füßen durch die Gegend laufen zu
können. Obwohl es ein vergleichsweise milder sonniger Tag war und der Ort sowie
das Seeufer einen hübschen Anblick boten, konnte ich dem Ausflug nichts
abgewinnen. Meine Gedanken schweiften ab und mir fielen plötzlich unzählige
Male ein, in denen ich zu faul oder zu bequem gewesen war, irgendwo zu Fuß
hinzugehen und lieber das Auto genommen hatte. Ich rate Ihnen ernsthaft:
Überwinden Sie solche Anwandlungen, Sie werden es unter Umständen bitter
bereuen. Ist doch mit allem so: Es wird erst wertvoll, wenn es knapp oder gar
nicht mehr zu haben ist…
An diesem Abend hatte mich die
Überdosis an Frischluft so müde gemacht, dass ich freiwillig sofort nach dem
Abendessen ins Bett ging und nur noch ein paar Seiten lesen konnte, bevor mir
die Augen zufielen.
In der Ergotherapie überraschte mich
Gerald am Ende der nächsten Stunde damit, dass ich ab sofort die Erlaubnis
besaß, in die "Werkstatt" zu gehen und dort zu basteln. Er hatte mit
dem Arzt gesprochen und sie waren der Ansicht, es wäre gut für meine Hand, um
die Feinmotorik anzukurbeln. Schon an diesem Nachmittag verließ ich stolz
mittels Code zum allerersten Mal allein die Frühreha, um mich mit meinem
Rollstuhl auf "große Fahrt" zu
begeben. Ich musste in den ersten Stock, Gerald hatte mir den Weg genau
beschrieben.
Zuerst noch etwas unbeholfen, aber dann
routinierter steuerte ich mein Gefährt mittels Händen und dem linken Bein zum
Fahrstuhl. Ich fühlte mich sehr stolz, als ich oben an einer verglasten Tür mit
der Aufschrift "Werkstatt" ankam. Erstaunt über die Größe dieses
Raumes, der sich wohl über das halbe Stockwerk erstreckte, fuhr ich durch die
automatisch öffnende Tür hinein.
Überall standen große Tische mit
diversen Arbeitsmaterialien: Im vorderen Bereich sah ich kleine und große Holzbrettchen,
riesige Bündel verschiedenfarbiger Gerten zum Flechten, Farbdosen, Schraubzwingen,
Laubsägen und Schleifpapier in raumhohen Regalen liegen. Über allem schwebte
der Geruch nach frischgesägtem Holz und frischer Farbe.
Die Durchgänge zwischen den Tischen waren so
breit, dass ein Rollstuhl mühelos hindurch passte und es saßen etwa sieben
Leute an verschiedenen Werken. Vorne im Raum wurde gesägt, gemalt und
geflochten, weiter hinten erblickte ich eine junge Frau, deren Gehwagen neben
ihrem Stuhl stand, über ein großes aufgespanntes und halb mit einer
wunderschönen Landschaft bemaltes Seidentuch gebeugt.
Sie arbeitete konzentriert, den Pinsel in der
Hand und die Zunge zwischen den Lippen. Unschlüssig blieb ich am Eingang
stehen. Schon kam eine ältere mütterlich wirkende Dame auf mich zu, die sich
als Leiterin vorstellte und mich herzlich begrüßte, nachdem ich meinen Namen
genannt hatte.
" Was würden Sie denn gerne herstellen? Sie könnten eine Laubsägearbeit fertigen,
oder ein Tablett flechten, etwas malen, z.B. eine Gratulationskarte oder ein Seidentuch gestalten. Sehe Sie sich
ruhig um, auf diesem Regal haben wir Beispielswerke stehen".
Ich hatte die Qual der Wahl. Die Stücke
auf besagtem Regal sahen alle sehr professionell aus, vor allem die Malereien
auf Bildern, Karten und Seidentüchern. Ich sollte ja beide Hände trainieren und
nachdem ich im Malunterricht in der Schule schon mit einer gesunden rechten
Hand immer eine ziemliche Niete gewesen war - mir ging jegliches künstlerische
Talent zum Zeichnen ab - und mein damaliger Kunstlehrer mir mal eine Vier auf
ein Landschaftsbild gab, weil ich einen Vogel am Himmel einfach mit zwei
aneinanderhängenden Bögen dargestellt habe (ist doch wahr, am Himmel sieht man
Vögel weitgehend als geschwungene Striche), überließ ich die Malerei den künstlerisch
Begabteren und entschied mich für ein Frühstückstablett. Die Vorbilder sahen ja
sehr hübsch aus, aber ich war stark im Zweifel, ob ich das auch so hinbekommen
würde! Ich durfte mir die Größe und die Farbe aussuchen.
Letztendlich war es aber kein Hexenwerk, wenn
man unter Anleitung das Korbflechten lernte und ich fertigte ein schwarzweiß
marmoriertes und ein sehr edel wirkendes Tablett in schwarz-lila. Anfangs war es für mich eine
Riesenherausforderung, da man zum Flechten wirklich beide Hände benötigte, aber
es
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