ZITRONENLIMONADE (German Edition)
schulte meine Koordination ungemein! Ich durfte dreimal pro Woche für zwei
Stunden in die Werkstatt und sollte ich tatsächlich nicht mehr in der Lage
sein, meinen bisherigen Job wieder aufzunehmen, konnte ich mir ja meinen
zukünftigen Lebensunterhalt locker mit selbst angefertigten Frühstückstabletts
in allen Farben und Größen verdienen! Ich malte mir aus, wie ich im Rollstuhl
sitzend hinter meinen Stand auf allen möglichen Dorf- und Stadtmärkten sitzen
und meine Kunstwerke lauthals anpries, im Stil eines billigen Jakobs. Die Leute
würden mir das Zeug, wenn schon nicht wegen dessen Qualität, dann doch
wenigstens aus Mitleid, aus der Hand reißen.
Kapitel Fünfzehn
Mein Bewegungsradius wurde immer größer,
ich befriedigte endlich auch meine Kaufsucht durch regelmäßige Kioskbesuche
(notgedrungen hauptsächlich Süßigkeiten und Zeitungen, da die Auswahl eher
bescheiden war) und ich erkundete nach
meiner Beschäftigungstherapie, während der ich oft sehr nette Gespräche mit
meinen Co-Handwerkern führte, meist noch das Klinik-Gebäude, bevor ich wieder zur
beschützenden Frühstation zurück rollte.
Dort gab es beim Mittagessen Aufruhr,
Ralfie randalierte und drehte halb durch. Er war nicht zu beruhigen und wurde
schließlich von zwei kräftigen Pflegern in sein Zimmer gebracht und dort im
Bett fixiert. Man hörte ihn bis auf den Gang hinaus schreien.
Zum allerersten Mal seit ich ihn kannte,
rief er immer wieder laut und deutlich "Mama". Was ist denn mit ihm los?" fragte ich
Michael, als er gerade in meiner Nähe Elisa fütterte und ihr erklärte, dass
heute Nachmittag ihr Freund zu Besuch kommen würde. Ich traute meinen Augen und
Ohren nicht, als Elisa daraufhin selig lächelte und undeutlich, aber dennoch
verständlich " Wolfgang" sagte. Michael lobte sie sehr und ich freute
mich aufrichtig, dass auf dieser Station nicht nur ich Fortschritte machte. Dann wandte er sich mir zu, sein Lächeln
verschwand und machte einer ernsten Miene Platz.
" Ralfie wird morgen in ein
Behindertenheim verlegt. Das hat seine Familie veranlasst. Er ist jetzt seit
zehn Wochen hier und gilt als austherapiert. Seine Leute haben sich hier nie
persönlich blicken lassen. Und das werden sie vermutlich, wenn er erst mal im
Heim ist, erst recht nicht tun." Entsetzt blickte ich Michael an. Wie
können es Eltern fertig bringen, ihr Kind zu verstoßen, weil es behindert ist?
Ich war mir ganz sicher, hätte Ralf die Unterstützung derer gehabt, die er
liebte, dann wären seine Fortschritte größer gewesen. Obwohl ihm vom Pflegepersonal keiner etwas
über eine bevorstehende Verlegung gesagt hatte - das hätte er vermutlich auch
gar nicht verstanden - musste er irgendeine Art siebten Sinn dafür haben, dass
sich sein Leben abermals zum Schlechten hin verändern würde. Seine Mama-Rufe
dauerten bis tief in die Nacht an.
Irgendwann übermannte mich der Schlaf, aber
ich fühlte mich noch morgens nach dem Erwachen deprimiert. Er tat mir, obwohl
er in der gesamten Zeit wirklich nie durch auch nur ein nettes Wort oder eine
Geste aufgefallen war, von ganzem Herzen leid.
Als ich Mark am kommenden Tag abends
anrief, stand ich immer noch unter dem Eindruck, wie sie Ralf heute Morgen,
festgeschnallt auf einer Bahre und vermutlich sediert, weil er gar so benommen
dreinsah, weggebracht hatten. Als ich meinem Freund meine Gefühle schilderte,
verstand er nur Bahnhof: "Aber du hast doch mit dem nichts zu tun gehabt?
Das war doch der, der so grausige Essmanieren hatte und ständig obszöne Gesten
machte? Warum um Himmels Willen denkst du über so einen überhaupt nach? Ist
doch das Beste für ihn, wenn er in ein entsprechendes Heim kommt, wo man sich
professionell um ihn kümmert."
"Ach ja? Wärst du der gleichen
Ansicht, wenn es sich um mich handeln würde?" entgegnete ich spitz.
"Das lässt sich doch überhaupt nicht vergleichen, Christina. Du machst
doch geradezu rasende Fortschritte, kannst dich artikulieren und verstehst
alles."
"Mark, das ist alles nicht mein
Verdienst. Die Blutung hätte auch andere Folgen haben können. Ich könnte im
gleichen Zustand wie Ralf sein."
"Bist du aber nicht, Schatz",
kam die Antwort mit leicht genervtem Unterton aus dem Hörer. "Du scheinst
mir ein wenig depressiv zu sein. Wie wäre es, wenn du dir das Angebot mit der
psychologischen Betreuung nochmals überlegst?" Ich war stark versucht, den Hörer auf die
Gabel zu knallen.
Beim Eingangsgespräch mit dem
Stationsarzt
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