ZITRONENLIMONADE (German Edition)
hatte ich, wie bereits im Krankenhaus, psychologische Unterstützung
abgelehnt. Ich war nach wie vor der Meinung, dass mir Gesprächstherapie über meinen
Zustand nicht weiter helfen würde.
Ich arbeitete hart an mir, und dass ich
wütend oder traurig darüber war, wie mein Leben derzeit verlief, stellte meiner
laienhaften Meinung nach keinen Zustand dar, der psychologisch behandelt werden
musste.
Und um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich kam
auf meinem Weg zur Beschäftigungstherapie an der psychologischen Abteilung
vorbei, wo die Patienten vor den einzelnen Zimmern auf die beiden Psychologen
warten, die ich beide bereits von weitem gesehen hatte. Und ich fühlte mich in
meiner Einstellung, keinen von ihnen aufzusuchen, prompt bestätigt:
Der eine wirkte wie der Hauptdarsteller
in einem Jesus-Christ-Superstar-Musical, mit ungepflegten gelblichen Fußnägeln
in offenen Birkenstocklatschen, einer versifften Jeans und einem angegrauten Schmuddel
-T-Shirt drüber, Kopf und Gesicht von ungepflegten halblangen Haaren und
Rauschebart verdeckt. Sein Kollege aus dem Nebenzimmer war zwar ordentlich
angezogen, mit weißem Kittel, und auch rasiert, hatte aber einen entnervenden
Tic: Er zwinkerte ständig mit den Augen, wenn er mit seinen Patienten sprach
und sie in sein Sprechzimmer bat. Und das erhärtete meinen Verdacht, dass
zumindest manche Leute Psychologie nur deshalb studierten, um sich selber besser
verstehen zu können. Ich hatte auch grundsätzlich was gegen die klassische
Gesprächstherapie: Der Patient schüttet seinen Seelenmüll aus und der Arzt hört
zu. Was soll das bringen, wenn man sich seine elende Situation durch Erzählen
wieder und wieder ins Gedächtnis ruft? Dadurch wird sie ganz sicher weder
besser noch leichter erträglich. Ein Witz zu diesem Thema traf meiner Meinung
nach den Nagel auf den Kopf:
Ein Mann sucht in einer fremden Stadt
den Bahnhof und fragt einen vorüberkommenden Passanten, der von Beruf
Psychiater ist, danach. Dessen Antwort: "Das weiß ich leider auch nicht,
guter Mann, aber wir können gerne mal drüber reden!" Mag durchaus sein, dass es für viele hilfreich
ist, wenn sie ihr Herz ausschütten und durch gezieltes professionelles
Nachfragen ihr Verhalten und ihre Situation entsprechend einordnen können. Aber
von den beiden Psychologenexemplaren, die hier ihre Brötchen verdienten,
erwartete ich mir keinerlei praktische Ratschläge. Wer sich selber nicht im Griff
hat, da war ich knallhart, dem geht die Kompetenz, andere zu behandeln, völlig
ab.
Ich war stinksauer, dass Mark mir wegen
meines Mitgefühls für Ralf unterstellte, ich hätte psychologische Behandlung
nötig. Vielleicht sollte er sich ja mal psychologisch beraten lassen wegen
seines mangelnden Einfühlungsvermögens! Wie schon so oft in jüngster Zeit
beherrschte ich meine Zunge und lenkte ein, indem ich das Thema kurzerhand
wechselte. Wir sprachen über einige Freunde von uns, mit denen ich telefoniert
hatte und er ließ mich wissen, dass er mich erst in einer Woche wieder am
Wochenende besuchen könne, da er auf Geschäftsreise gehen musste.
" Es tut mir leid, Chris, aber du
kennst das ja."
Ich heuchelte Verständnis, obwohl ich
traurig und wütend war. Aber das Problem hatten wir ja schon des Öfteren gehabt.
Ich hoffte nur, dass unser Verhältnis wieder inniger werden würde, sobald ich gesund
und wieder in München war.
Am kommenden Donnerstag war ich seit
genau drei Wochen auf der Frühreha und fühlte mich mittlerweile total heimisch.
Ich redete viel mit den Pflegekräften, mit den Angehörigen der Patienten und
hatte auch keine Scheu mehr, meine "Mitinsassen" anzusprechen, selbst
wenn sie nicht antworten konnten. Vielen merkte man tiefe Dankbarkeit darüber
an, dass sich jemand mit ihnen beschäftigte und am Augenausdruck lernte ich zu
erkennen, ob mich der andere zumindest teilweise verstand. Und so reagierte ich
mit gemischten Gefühlen, als mir Michael sagte, dass ich am Nachmittag ein
Arztgespräch zwecks meiner Verlegung auf eine andere Station hätte.
" Sie sind zu gut für uns, Frau
Salten. Wir, die Pfleger und Schwestern, würden Sie alle sehr gerne hier behalten,
aber es gibt genügend wesentlich schwere Fälle, die dringend auf einen Platz
hier warten."
"Okay, das verstehe ich. Auch wenn
es mir leid tut, euch verlassen zu müssen. Wo werde ich denn dann hinkommen?"
Insgeheim verspürte ich Befriedigung, wieder einen Schritt weiter zu sein und
dieser Abteilung für die schweren
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