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ZITRONENLIMONADE (German Edition)

ZITRONENLIMONADE (German Edition)

Titel: ZITRONENLIMONADE (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marleen Reichenberg
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Fälle den Rücken kehren zu dürfen. Michaels
nächste Worte holten mich hart auf den Boden der Tatsachen zurück: "Ihre
nächste Station ist die Schwergeschädigtenabteilung im ersten Stock. Da haben
Sie mit etwas Glück ein Zimmer mit Blick auf den See!"
    Der letzte Satz konnte mich nicht
aufheitern. Schwergeschädigtenabteilung? Hallo, wie klang das denn? Da war ja
"Frührehabilitation" noch eleganter! Wer dachte sich solche aufmunternden
Stationsnamen aus? Wahrscheinlich derselbe Sadist, der hier auch für die
Kinofilmauswahl zuständig war. Ich stellte mir vor, wie sich Bekannte und
Freunde am Telefon erkundigten, auf welcher Station sie mich besuchen könnten.
Die würden alle einen Schock erleiden, wenn ich denen fröhlich antworten würde:
      "Ach wisst ihr, meine erste Station habe
ich schon hinter mich gebracht, jetzt bin ich so gut, dass sie mich bereits auf
die Schwergeschädigtenabteilung verlegt haben!" Auch Mark würde äußerst erfreut
sein, wenn er von meinem "Aufstieg" hören würde Und Verena erst! Die
würde   in wahre Euphorie verfallen, wenn
sie von meinen gesundheitlichen Fortschritten erfuhr.   Damit dürfte für sie klar sein, dass ich für
alle Ewigkeit bei den senilen Pflegebedürftigen blieb, während sie meinen Platz
in der Firma endgültig übernahm.
     
    Der Stationsarzt der Frühreha erklärte
mir am Nachmittag, ich könne übermorgen auf die neue Station wechseln. Der
Haken an der Sache: Ich würde mit dem Umzug auch meine kompetente Physiotherapeutin
Franzi verlieren . Sie war leider nur für die Frühreha zuständig und hatte mir
schon gesagt, dass für die restliche Klinik eine eigene Physiotherapie-Abteilung
vorhanden war.
    Wenn ich die letzten drei Wochen Revue
passieren ließ, dann hatte ich seit meiner Ankunft hier doch sehr viel gelernt.
Ich war mittels meines Rollstuhles sehr selbstständig geworden - vorausgesetzt,
die Räumlichkeiten, Toilette und Dusche waren behindertengerecht - konnte mich
inzwischen problemlos auch ohne Rutschbrett umsetzen, morgens alleine richten
und zum Frühstück fahren, und - wenn ich mich irgendwo festhalten und nach oben
ziehen konnte, stand ich sogar schon für ein paar Minuten allein, allerdings
weitgehend auf dem gesunden linken Bein.
    Trotz des zuckenden Oberschenkelmuskels
hatte sich an meinem rechten Bein, was die Beweglichkeit anging, wenig getan.
Wenn ich mir morgens die Socken anzog oder auch die Hose, dann musste ich das
rechte Bein mit beiden Händen auf das linke Knie gebeugt hochheben, festhalten,
da es sonst ungebremst wieder herunter rutschte und mir die Socke und danach
das Hosenbein darüber streifen. Das war gar nicht so einfach, wie es sich
anhörte.
    Ich hatte bis dahin nicht gewusst, dass
ein einzelnes lebloses Bein gewichtsmäßig einem Bleirohr glich, außerdem
durften Socken und Hosen keinesfalls zu eng sein. Normalerweise half ja der Fuß
beim Anziehen aktiv mit, indem man ihn drehte oder anhob. Das alles war bei
meinem Bein nicht drin. Es fühlte sich an, als ob man mit einer Prothese
hantierte.
    Aber mein rechter Arm sowie meine
Feinmotorik hatten sich sichtbar verbessert, nur das Gefühl in Arm und Hand war
noch etwas seltsam, immer noch so, als würde ein eingeschlafenes Körperteil langsam
wieder "aufwachen", es war taub und juckte oder kribbelte manchmal.   Sprechen konnte ich fast wieder normal, nur
wenn ich zu schnell wurde, müde oder aufgeregt war, stotterte ich noch. Und ich
redete um vieles langsamer und schwerfälliger als früher.
    Gut, wenn ich das so rekapitulierte,
war ich wesentlich beweglicher und selbstständiger geworden, aber irgendwie
zählten diese Kleinigkeiten für mich nicht - ich wollte frei drauf los reden
können, wie mir der Schnabel gewachsen war. Und auf meinen eigenen Beinen
laufen können, egal wie. Im Rückblick erschien mir mein Leben vor dem Schlaganfall
wie ein einziges Paradies. Nach wie vor verband mich mit meinem Rolli eine richtige
Hassliebe.
     
    Noch immer gab es jeden Morgen gleich
nach dem Aufwachen, sobald mein Blick auf den direkt neben dem Bett
bereitgestellten fahrbaren Stuhl fiel, einen kurzen Moment, indem ich nicht
glauben konnte, dass ich nur durch dieses Behindertentransportmittel aus meinem
Bett herauskam und somit einen größeren Bewegungsradius hatte! Irgendwo in
meinem Hinterkopf lauerte die Vorstellung, ich könne - wie alle anderen gesunden
Menschen - einfach so vom Bettrand aufstehen, diesen komischen Alptraum
abschütteln und mich problemlos unter die

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