Zitronentagetes
Tatendrang gerecht zu werden. Sie verbrachten viel Zeit miteinander, bastelten Weihnachtsschmuck, backten Plätzchen und sangen Lieder. Sie gab sich die allergrößte Mühe, doch es verging kein Tag, an dem ihre Tochter nicht nach ihrem Dad fragte. Einerseits ärgerte es sie, andererseits machte es sie traurig. Wenn wenigstens Marc öfter vorbeischauen würde. Rosie liebte ihren großen Bruder. Aber im Grunde war es besser für sie selbst, dass sie Marc nicht so oft gegenüberstand. George rief jeden Tag an, um sich nach Rosie zu erkundigen. Eigentlich wollte er direkt mit seiner Tochter sprechen. Jenny war sich jedoch nicht sicher, ob der Kleinen das guttat. Sie würde ständig gefühlsmäßig hin und her gerissen werden. Auch darüber musste sie nachdenken.
Der Prozess war um eine Woche vertagt worden. George versprach, sie auf dem Laufenden zu halten. Da hatte sie sich ganz schön in eine Zwickmühle hineinmanövriert.
Am Tage kam Jenny wunderbar zurecht, aber die dunklen Winterabende waren hart. Sie vermisste jemanden, der an ihrer Seite lag, mit dem sie einschlafen und am nächsten Morgen wieder aufwachen konnte.
Heute Nachmittag würde Amy sie besuchen kommen. Die brachte sie stets auf andere Gedanken. Jenny hatte bereits die Kaffeemaschine eingeschaltet.
»Es ist schweinekalt draußen«, rief Amy und drückte ihr einen Begrüßungskuss auf die Wange.
»Dann komm nur rein.« Amy kannte Jennys Misere, bei ihr konnte sie ihren Sorgen freien Lauf lassen. Es war ein großes Glück, jemanden zu haben, bei dem man sich nicht verstellen musste.
»Schon was von Marc gehört?«
»Ja.« Sie berichtete kurz. »Ich kann mir vorstellen, dass es ihm nicht gut dabei geht.«
Amy musterte sie intensiv.
»Und bei dir?«
»Mir hat es keine Ruhe gelassen, dass du gesagt hast, du fürchtest dich nachts allein im Haus, seit George dir diesen Schrecken eingejagt hat. Du solltest dir eine Alarmanlage installieren lassen und die Schlösser austauschen. So kann weder George noch sonst irgendjemand hier unangemeldet reinspazieren. Ich habe auch bereits recherchiert. Marc hat damals mit der Sicherheitsfirma eines Rafe Masterson zusammengearbeitet, als … na ja. Du weißt schon.«
Jenny seufzte. Es war bezeichnend, was George bereits angestellt hatte. Sie war nicht sicher, ob sie ihn überhaupt jemals wieder bei sich aufnehmen konnte. Auch ihre Nachgiebigkeit hatte Grenzen. »Gute Idee, vielen Dank«, sagte sie, als Amy ihr den Notizzettel zusteckte. »Gleich morgen werde ich mich darum kümmern. Manchmal glaube ich schon, ich bin paranoid und bilde mir ein, jemand beobachtet das Haus. Ich bin immer knapp davor, Marc anzurufen, um ihn zu bitten, herzukommen. Nur um mich davon zu überzeugen, dass ich mich irre. So, wie das im Kaufhaus war und ich felsenfest der Meinung war, jemand hätte Rosie entführt. Marc war einfach nur da, weißt du? Das hat mir viel bedeutet. Du hättest sehen sollen, wie er Rosie aufs Klo gesetzt hat. Total süß …« Jenny verstummte, als ihre Freundin sie erneut durchdringend ansah. »Was ist?«, fragte sie zaghaft.
»Ist dir aufgefallen, dass Marc neuerdings in fast all deinen Sätzen vorkommt?«
»Unsinn.«
»O doch. Du hast dich in ihn verliebt.«
»Nein. Er ist Georges Sohn und gehört damit einfach zur Familie.«
»Es geht mich ja auch nichts an, aber …«
»Ja?«
»Schon gut.«
*
Marc lief am Strand entlang. Zu dieser Jahreszeit traf man dort keinen einzigen Menschen. Genau das, was er jetzt brauchte. Er hatte seine Handschuhe nicht dabei und vergrub die Hände tief in den Manteltaschen. Ein kalter Wind blies ihm ins Gesicht. Das Meer wirkte genauso aufgewühlt, wie er sich fühlte. Wie schön wäre es, trippelte Flo jetzt hier an seiner Seite. Er stellte sich vor, wie sie ihn mit belanglosem Zeugs zutextete und er dabei seine Sorgen vergaß. Längst betrachtete er sie nicht mehr als Selbstverständlichkeit. Sie war ein Geschenk, das ihm von Tag zu Tag besser gefiel. Unter ihren Händen spürte er, wie er heil wurde. Sie war sein Hafen, sein Zuhause, sein Nest. Wie konnte er sie da nicht mögen? Ihr Frohsinn war ansteckend, jedenfalls an den meisten Tagen. Heute nicht, aber vielleicht irrte er sich auch. Er erinnerte sich, wie sie gestern in seinem Bett aufgewacht war. Sie hatte zufrieden ausgesehen. Ihr Gesicht hatte sein eigenes Wohlempfinden widergespiegelt, er wusste es.
Suchend hatte sie sich im Zimmer umgesehen.
»Fehlt dir etwas?« Er küsste ihren ihm zugewandten
Weitere Kostenlose Bücher