Zitronentagetes
Antibiotikagabe halte ich derzeit nicht für angezeigt. Was ein Glück ist, da wir dich im letzten Winter mit allzu hohen Dosen bombardieren mussten. Wer kann schon sagen, ob du bereits wieder Resistenzen gegen die Mittel aufgebaut hast. Je weniger du davon benötigst, desto besser. Ich bin sehr erleichtert. Die Halsentzündung ist mit Sicherheit eine Folge der kurzzeitigen Unterkühlung. Bleibt abzuklären, ob du dir auch eine Harnwegsinfektion zugezogen hast. Wasserlassen klappt?«
»Ja doch.«
»Kein Brennen?«
»Nee.« Höchstens ein bisschen, aber das würde er ihr nicht auf die Nase binden.
Ihr forschender Blick hielt ihn fest. »Na gut. Vorerst reicht es, viel zu trinken. Wenn irgendetwas schlimmer wird, sagst du Bescheid, okay?«
Er nickte artig.
Sie stapelte Hustenlöser, Einreibung, Halspastillen und ein Schmerzmittel auf dem Nachtschrank. »Gute Besserung.«
»Danke«, murmelte er, schon wieder viel zu erschöpft.
»Schlaf dich aus.« Liz setzte sich auf die Bettkante, rieb seine Brust ein und wusch sich im Bad die Hände.
*
Er würde sich rasch erholen. Aber immer, wenn sie ihn ansah, überfiel sie das schlechte Gewissen. Hätte man sein Bein vielleicht doch retten können? Tausendmal und mehr hatte sie sich die Frage gestellt. Letzten Endes hatte Jefferson die Entscheidung getroffen. Aber der Vorwurf, vielleicht nicht alles versucht zu haben, stand in Marcs Augen, wann immer er sie ansah. Sie hatte seine Krankenakte immer wieder kontrolliert und die Hygienekette ein ums andere Mal geprüft. Stets kam sie zum selben Ergebnis: Die Amputation war unumgänglich gewesen. Aber sie würde verdammt sein, wenn sie zukünftig nicht alles daransetzte, einen neuen MRSA-Fall zu verhindern. Seit Monaten arbeitete sie an einem ausgefeilteren Hygieneplan für die Klinik. Nutzte ihren Mutterschaftsurlaub, um neuste Studien zu verfolgen und formulierte durchführbare Maßnahmen. Für eine konsequente Einhaltung würde sie schon sorgen, auch auf die Gefahr hin, sich beim Personal unbeliebt zu machen. Jefferson und Zimmerman standen in diesem Punkt voll hinter ihr. Darauf konnte sie zählen.
Bevor Flo und sie sich mit den Stoffstreifen und dem Freundschaftsquilt beschäftigten, erteilte sie ihrer Freundin Marc bezüglich noch ein paar Anweisungen.
»Vielen Dank«, wiederholte Flo permanent.
»Schon gut. Achte vor allem auf seine Körpertemperatur und eine mögliche aufsteigende Harnwegsinfektion. Damit ist nicht zu spaßen.«
»Was? Davon hat er gar nichts gesagt.« Flo sah Liz erschrocken an.
»Typisch Marc. Mach dir keine Sorgen, das wird schon. Der Prozess macht ihm wohl sehr zu schaffen, was?«
Flo bestätigte mit einem traurigen Nicken.
»Eine solche seelische Belastung ist nicht ohne.« Gemeinsam gingen sie in Flos Nähzimmer.
*
Bertha hatte in aller Eile eine Hühnerbrühe für Marc angesetzt. Flo servierte sie ihm am Abend. Er hatte keinen Appetit, zwang aber ihr zuliebe ein Schälchen hinunter.
»Bald wird es besser, du wirst schon sehen.«
»Es war nicht nötig, nach Liz zu rufen.«
»Ich habe es nur gut gemeint.«
»Das weiß ich doch. Trotzdem.«
Sie reichte ihm eine neue Tasse Tee.
»Ich werde mich zu Tode pinkeln.«
»Red keinen Unsinn. Liz hat gesagt, du sollst viel trinken. Sie ist eine gute Ärztin.«
»Wie man’s nimmt.«
»Du hast ihr die Amputation immer noch nicht verziehen.«
»Und wenn schon. Könntest du das an meiner Stelle?«
»Keine Ahnung.«
»Na siehst du.«
»Egal. Auf alle Fälle macht sie sich Gedanken um dich.«
»Wie rührend.«
»Ich mag es nicht, wenn du so abfällig sprichst.«
»Schon gut.«
»Weißt du eigentlich, dass Elizabeth aus dem OP geworfen wurde?«
Wie meinte sie das?
Flo berichtete ihm, wie Jefferson seine Oberärztin kurzerhand rausgeschmissen hatte, da sie die Amputation nicht hatte durchführen können.
»Ich hatte keine Ahnung.«
»Natürlich nicht. Bevor du also das nächste Mal über sie urteilst, versetze dich erst in ihre Lage. Sie hat jede Menge Tränen vergossen. Nicht nur wegen dir, sondern vor allem auch um dich.«
Marc spürte einen Kloß in seinem Hals, und der rührte nicht von der Entzündung.
*
Wie Scotts Anwalt bereits angekündigt hatte, wurde er in den Zeugenstand gebeten. Er würdigte Marc Cumberland keines Blickes. Genau genommen sah er niemanden an, starrte stattdessen auf seine Schuhspitzen.
»Mr. Peterson«, begann McNamarra, der gegnerische Anwalt. »Nach Aussagen Ihrer Nachbarn
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