Zombie-Ballade
einstecken müssen. Seine Kundschaft, zumeist Landsleute, blieb ihm treu.
»Und wie geht es dir?«
»Ich kann nicht klagen.«
»Auch Shao nicht?«
»Nein.«
»Das freut mich für euch.« Suko wusste, dass die Antwort ehrlich gemeint war.
Allmählich näherten sich die beiden Männer schließlich dem Thema. Suko begann damit und erklärte, dass ihn etwas erschreckt habe. Chu Wai nickte. Er nippte an seinem Tee und legte die Hände gegeneinander. »Wang, nicht wahr?«
»Sehr richtig.«
Die beiden Männer schwiegen. Ein jeder hing seinen Gedanken nach. Vom Hof her drangen die Geräusche der anfahrenden Wagen in das kleine Büro, und erst nach einer Weile gab Chu Wai einen weiteren Kommentar. »Wir alle, die wir Wang kennen, spüren, dass er sich in der Stadt aufhält. Er ist ein Todesbote.«
»Da gebe ich dir recht. Aber für wen!«
»Wo er ist, sind auch die lebenden Toten, Suko.« Ernst schaute Chu Wai den Inspektor an. »Das weißt du bestimmt. Und hast du dich bereits auf die Suche nach ihnen gemacht?«
»Nein, ich bin erst zu dir gekommen, weil ich überhaupt keine Hinweise habe, was Wang angeht.«
»Das kann ich mir vorstellen. Er ist gefährlich, er ist schlau, er hält sich zurück. Die wenigen, die die Kunst des Sprechens beherrschen, verlassen nicht ohne Grund ihre geheimen Klöster. Sie haben immer etwas zu erledigen.«
»Ich bin nicht der Grund.«
»Das weißt du genau, Suko?«
»Ja.«
»Du hast also nichts mit den lebenden Toten zu tun gehabt?«
»Das schon, ich kenne sie, die wir Zombies nennen. Nur nichts, was einen Wang hätte berühren können.«
Chu Wai sagte: »Wenn er sich irgendwo aufhält, hat er stets eine Aufgabe zu erfüllen, über die man nachdenken muss. Was könnte ihn nach London geführt haben? Es muss ungemein wichtig sein. Gleichzeitig schlimm und schrecklich. Was ist es?«
»Hast du je erlebt, dass ein Wang sein Kloster verlässt?«
»Nein.«
»Auch nicht davon gehört?«
»Es gibt Regeln, die nur die Wangs kennen, ich leider nicht. Und ich wüsste keinen Menschen in dieser Stadt, der darüber Bescheid weiß. Selbst du nicht, Suko.«
»Nein, ich kenne nur ihre Motive und weiß, dass es wenige Wangs auf der Welt gibt. Die Kunst des Lebendigsprechens beherrschen nur sehr wenige auf der Erde. Mir hat man leider noch keinen Einblick in die Totenmagie gestattet. Ich kann dir nicht helfen.«
Suko nickte. »Das hatte ich mir fast gedacht. Aber du kennst viele Leute. Hat man den Wang inzwischen erneut gesehen? Er wurde auf dem Flughafen entdeckt und müsste doch in die Stadt gefahren sein…«
»Wir halten die Augen offen, Suko. Auch uns ist daran gelegen, ein düsteres Kapitel unserer Mythologie und Geschichte zu verdrängen, aber wir entdeckten ihn bisher nicht.« Der alte Mann holte tief Luft.
»Wenn du ihm trotz allem gegenüberstehen solltest, wirst du dann gegen ihn kämpfen, Suko?«
»Das muss ich.«
»Und du weißt, wie gefährlich er ist. Manche Wangs beherrschen auch die Gabe des Totsprechens.«
»Das ist mir bekannt.«
»Man kann sich kaum dagegen wehren. Sie ziehen ihre Kraft aus den Seelen der Toten. Es wird schwer für dich sein.« Chu Wai erhob sich.
»Ich verspreche dir aber, dass ich die Augen offen halten werde. Meine Freunde wissen Bescheid. Sie alle wollen Wang aus der Stadt haben. Sie alle…«
Suko bedankte sich noch einmal und ging. Wieder musste er die Wäscherei durchqueren. Seine Gedanken waren ebenso trübe wie die feuchte Luft, die ihn umgab.
Der Wang wurde allmählich zu einem Problem…
***
Er hatte sich ein kleines Hotel gesucht, wo er nicht auffiel. Es lag in Soho. Vertreter stiegen hier ab, häufig auch Touristen aus aller Welt. Chinesen sah er keine. Wang war zufrieden.
Er gehörte zu den Menschen, deren Gesichter man schnell wieder vergaß. So unscheinbar war er. Wang bestand auch nicht darauf, in einer fremden Stadt unbedingt chinesisch zu essen, denn er wusste sehr genau, dass die Stadt tausend Augen und Ohren hatte. Wahrscheinlich war er schon entdeckt worden. Ein Wang suchte zwar immer das Verborgene, aber er besaß eine gewisse Ausstrahlung, die seine sensiblen Landsleute sehr deutlich spürten.
Zum Hotel gehörte ein kleiner Speiseraum, in dem Wang nach dem Anruf eine Mahlzeit einnahm. Er aß Roastbeef mit einer hellen Soße, dazu etwas Salat. Völlig unverdächtig wirkte er. Auch die anderen Gäste beobachteten ihn nicht.
Ungefähr eine halbe Stunde blieb er, leerte sein Wasserglas, zahlte und ging hoch zu seinem
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