Zombie-Ballade
Zimmer.
Auf dem Gang blieb er stehen. Es war nichts zu sehen, trotzdem spürte er die Gefahr. Etwas war anders geworden in der letzten Stunde. Nahe der Treppe war er stehen geblieben. Im Gang befand sich niemand. Auch die Türen der einzelnen Zimmer waren geschlossen. Niemand schien sich in seiner Nähe aufzuhalten.
Und doch musste jemand da sein. Sein Instinkt hatte ihn noch nie getäuscht.
Auf Zehenspitzen ging er weiter. Der Teppich schluckte die Schrittgeräusche. Niemand würde ihn hören, wenn er sich seinem Zimmer näherte.
Vor der Tür blieb er für einen Moment stehen. Seine Gestalt straffte sich. Er legte die Hand auf die Klinke, drückte sie nach innen und trat die Tür auf.
Der »Besucher«, der mitten im Zimmer stand, fuhr herum und griff blitzschnell zum Revolver. »Lass die Waffe stecken, Spiro!« sagte Wang und lächelte kalt.
Spiro nickte. Auch er lächelte jetzt, aber sein Lächeln war unsicherer als das des Chinesen. Ihm war dieser Mann unheimlich, der ihm kaum bis zur Schulter reichte.
Wang schloss die Tür, und Spiro entspannte sich wieder. Er nahm auf einer kleinen Anrichte Platz. Wang ließ sich auf einen Stuhl nieder. Er schaute den großen Mann von unten her an. Sein Blick war starr, kalt und gleichzeitig lauernd. »Wie ist es gelaufen?«
Spiro wischte sich über sein Gesicht. »Es war verdammt schlimm. Ich… ich… habe sie gesehen.«
»Die lebenden Leichen?«
»Ja, sie sind im Keller versteckt. Ich war mit in der Leichenhalle. Wir haben sie geholt, in den Wagen gesetzt…« Er berichtete davon, was ihnen widerfahren und dass die Polizei aufmerksam geworden war.
»Das ist nicht gut«, erklärte Wang.
Spiro nickte. »Habe ich auch gemeint, aber die Baxter hat sich elegant aus der Affäre gezogen. Jetzt bin ich auch unterwegs, um Besorgungen zu machen. Wenn sie wüsste, wo ich stecke…«
»Sie wird es erst dann erfahren, wenn ich es für richtig halte. Du hast dein Geld bekommen, Spiro. Dafür verlange ich etwas. Zum Beispiel starke Nerven.«
»Ich werde mich bemühen.«
»Das will ich meinen«, erklärte Wang und ließ sich dann berichten, was Mary Ann Baxter geplant hatte.
Spiro redete. Er sprach schnell. Je früher er mit seinem Bericht fertig wurde, um so eher kam er von Wang weg, der ihm von Sekunde zu Sekunde unheimlicher wurde.
Der Chinese hörte zu. Er änderte blitzschnell seinen Plan und verschob den Einsatz um einen Tag, weil er damit rechnete, dass die Polizei noch einmal auftauchen würde.
Als Spiro von dieser Änderung erfuhr, verlor sein Gesicht noch einmal kräftig an Farbe. »Aber morgen ist das große Fest. Da können wir einfach nicht…«
»Was sollte mich daran hindern?« erkundigte sich Wang mit sanfter Stimme.
Spiro starrte ihn an. Um seinen Mund zuckte es. Er versuchte zu grinsen, das schaffte er nicht mehr, sondern wiederholte nach einer Weile fast die gleichen Worte. »Ja, was sollte Sie daran hindern?«
»Gar nichts, mein Lieber. Wann beginnt das Fest?«
»Die ersten Gäste treffen immer gegen achtzehn Uhr ein.«
»Gut, ich werde auch kommen. Gibt es noch einen zweiten Eingang am Haus?«
»Ja.«
»Dann halte ihn für mich offen.«
Spiro nickte. Wang aber stand auf und deutete zur Tür. Er brauchte kein Wort zu sprechen, der Weiße wusste auch so, was gemeint war. Man hatte ihn aus dem Gespräch entlassen.
Er nickte und ging zur Tür. Hastig zog er sie hinter sich zu und lief den Gang zur Treppe hin. Auf den Stufen wäre er fast gestolpert, so eilig hatte er es. Erst draußen, in der kalten Winterluft, atmete er auf, lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Plakatwand und dachte darüber nach, was er getan hatte.
Er hatte seine Chefin verraten! Und dies schon seit einigen Tagen, als ihm jemand eine hohe Summe telegrafisch überwiesen hatte. Später hatte er sich zum erstenmal mit Wang getroffen und über gewisse Dinge mit ihm gesprochen.
Man hatte ihn in den Zombie-Mythos eingeweiht. Er durfte sich nicht zu erkennen geben. Er hatte es versprochen, doch nie damit gerechnet, dass alles eintreffen würde. Jetzt war es soweit. Er selbst hatte mit ansehen können, wie die Zombies lebten und seiner Chefin gehorchten. Er dachte wieder an die Nächte mit ihr, an das dunkle Schlafzimmer, die schwarzen Kerzen, deren geheimnisvollen Schimmer, einfach an alles, was ihn abgestoßen und ihr Spaß gemacht hatte.
Nach den Liebesstunden hatte sie vom Jenseits geredet, von den Toten und ihren Männern, die gar nicht tot waren, die sie zurückholen wollte.
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