Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zombieparade: Storys (German Edition)

Zombieparade: Storys (German Edition)

Titel: Zombieparade: Storys (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Brooks
Vom Netzwerk:
Die Toten bemerkte
ich zuletzt, was möglicherweise daran lag, dass sie längst abgekühlt waren. Größtenteils zerfetzt, eine Mischung aus Gliedmaßen und Torsos zwischen vereinzelten Organen und amorphen Fleischklumpen. Einige Leichname sahen vollkommen unversehrt aus; mir fielen die kleinen, runden Löcher mitten in den Stirnen auf. Ich streckte den Arm aus, da ich Laila darauf hinweisen wollte, und stellte fest, dass sie und Anson unseren Aussichtspunkt auf dem Dach verlassen hatten. Vermutlich waren sie in Richtung der Schüsse verschwunden.
    Für einen Augenblick überkamen mich Erinnerungen, da das sensorische Bankett massenhaften menschlichen Sterbens nostalgische Empfindungen in mir wachrief. Einen Moment lang befand ich mich wieder in den 1950er Jahren und streifte auf der Suche nach menschlicher Beute durch den Dschungel. Laila und ich sprachen immer noch ganz verzückt von dem »Notfall«, wie wir die Witterung von kommunistischen Aufständischen oder Commonwealth-Kommandos aufnahmen, wie wir aus den Schatten heraus zuschlugen, während unsere Gegner vor Panik die Waffen abfeuerten (und sich einnässten), wie wir uns gierig an den letzten saftigen Tropfen ihrer hektisch klopfenden Herzen labten. »Wenn doch nur«, sollten wir noch Jahrzehnte später lamentieren,
»wenn doch nur der Notfall von Dauer gewesen wäre.«
    Ich habe gehört, je mehr Erinnerungen man anhäuft, desto weniger Platz für bewusstes Denken hat der Verstand. Für andere kann ich nicht sprechen, aber in meinem Alter und mit den Erinnerungen an so viele Leben, die sich in meinem uralten Schädel drängen, leide ich hin und wieder an kleinen Anfällen von »Gedächtnisschwund«. Während so eines Anfalls, als mir die jüngste Vergangenheit entfiel und ich mir unbewusst die Lippen leckte, stieß ich von meinem erhöhten Aussichtspunkt herab, umrundete eine Ecke der Kirche und stieß praktisch mit einem von ihnen zusammen. Es war ein Mann, oder vor Kurzem noch einer gewesen. Die rechte Seite seines Körpers sah noch einigermaßen passabel aus. Die linke Seite war weitgehend verbrannt. Dunkle, zähe Flüssigkeit lief aus zahlreichen dampfenden Wunden. Der linke Arm war unter dem Ellbogen sauber abgetrennt, wie von einer Maschine, wahrscheinlicher jedoch von einem dieser großen Hackmesser, die die Arbeiter bei der Ernte benutzen. Das linke Bein zog er leicht nach, sodass er eine flache Spur hinter sich zurückließ. Als er näher kam, wich ich instinktiv zurück und duckte mich für einen tödlichen Hieb.
    Und dann geschah das Unerwartete. Er, es, schlurfte einfach langsam an mir vorbei. Es wandte sich nicht in meine Richtung. Das eine unbeschadete Auge stellte nicht einmal Blickkontakt mit meinen her. Ich winkte mit der Hand vor seinem Gesicht. Nichts. Ich trat neben es und hielt mehrere Sekunden mit ihm Schritt. Nichts. Ich ging sogar so weit, mich direkt vor es hinzustellen. Der stumme Klotz hielt nicht inne, sondern lief einfach gegen mich, ohne auch nur die Arme zu heben. Ich landete auf dem Bürgersteig und gab einen Laut der Verblüffung von mir, als das subtote Scheusal über mich hinwegtrampelte, ohne auch nur Notiz von mir zu nehmen!
    Später wurde mir klar, wie töricht es gewesen war, eine andere Reaktion zu erwarten. Warum hätte es mich erkennen sollen? War ich »Nahrung«? War ich im menschlichen Sinne überhaupt »lebendig«? Diese Kreaturen gehorchten ausschließlich ihrem biologischen Imperativ, und dieser Imperativ trieb sie an, nach »lebenden« Wesen zu suchen. Für sein primitives, verseuchtes Gehirn blieb ich praktisch unsichtbar, ein Hindernis, das man ignorierte und, im günstigsten Falle, mied. Einen Moment konnte ich über meine absurde Situation nur kichern wie ein Kind, während diese jämmerliche Monstrosität ihren verstümmelten Kadaver über mich hinwegschleppte.
Dann stand ich wieder auf, holte mit dem rechten Arm aus und schlug zu. Ich kicherte erneut, als sich der Kopf mühelos von den Schultern löste, heftig von dem Haus gegenüber abprallte und vor meinen Füßen zu liegen kam. Das eine funktionstüchtige Auge bewegte sich weiterhin, suchte weiterhin und ignorierte mich witzigerweise weiterhin. So begegnete ich zum ersten Mal etwas, das die menschlichen Sonnenbrüter »Zombie« nannten.
    Die folgenden Monate könnte man als »Nächte der Verleugnung« bezeichnen. Es waren Nächte, in denen alles seinen gewohnten Lauf nahm und wir uns bemühten, die Gefahr zu ignorieren, die in zunehmendem Maße um uns

Weitere Kostenlose Bücher