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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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genauso, wie der Lieutenant es geschildert hatte: ein heruntergekommenes Verlies mit einer stickigen, miasmatischen Atmosphäre und einer geheimen Topographie. Trevor sagte: »Sieht so aus, als hätten wir gerade den Zug verpasst«, und sie lachten und gingen zu der oben gekrümmten Leiter am Südende des Bahnsteigs hinüber.
    Gamma war eine Einheit, die den eher abgeklärten Frequenzbereich abdeckte, allesamt Kiffer in dritter Generation, die die mit dem Wiederaufbau sicher zu erwartende neue Ära der Marihuana-Toleranz, die selbstverständlichen gesetzlichen Änderungen und knospenden Utopien kaum erwarten konnten. »Wenn wir alles wieder auf die Reihe gekriegt haben, werden wir die Freude institutionalisieren«, sagte Foreskin, »denn das medizinische Kiffen ist der Balsam des Vergessens.« Richard Cowl alias Dick Cowl alias Foreskin war der Führer von Gamma und ehemaliger Sommelier in einem neuartigen Edelrestaurant in Cambridge, das sich auf Innereien spezialisiert hatte. »Eigentlich ziemlich amüsant, wenn man die Gier der Skels nach menschlichen Eingeweiden bedenkt. Das sind meine Stammgäste!« Er war sogar in diesen Zeiten des Mangels Vegetarier. Die exotischen Delikatessen auf der Speisekarte seines Arbeitgebers hatte er nie probiert, aber dennoch hervorragend mit ihm harmoniert. Jedenfalls, wenn man ihm glauben wollte – Triumphe vor der Seuche wurden angesichts des Fehlens von Gegenzeugen häufig übertrieben.
    Die anderen beiden Gammas waren Joshua und Trevor. Die einzige Beschreibung, die Joshua von seinem früheren Leben lieferte, lautete: »Ich war Alkoholiker, und das bin ich immer noch.« Eines Sonntags in Wonton erzählte Josh, wie seine Mutter in der Letzten Nacht abgedreht war, und Mark Spitz hätte fast seine ganz ähnliche Geschichte mitgeteilt, tat es dann aber doch nicht. Josh hatte nicht die Haltung eines Menschen, der bis zum Schluss durchhalten würde; er hatte etwas Weichliches, trotz des Umstandes, dass er so lange überlebt hatte, und ihm die Geschichte zu erzählen wäre so, als gösse man Kaffee in eine kaputte Untertasse. Was Trevor anging, so war er in den heiteren Tagen ungehemmter Kauflust Wachmann in einem Einkaufszentrum gewesen. Als sie einander kennenlernten, hatte Gary gefrotzelt, Trevor müsse doch froh sein, nach seiner Zeit als falscher Cop »endlich eine richtige Knarre« tragen zu dürfen, und Trevor hatte gelassen erwidert, er habe auf seinen Runden im Einkaufszentrum keine Knarre gebraucht. Er habe alles, was er brauche, in den Händen – Trevor praktizierte auf meisterlichem Niveau einen Zweig der waffenlosen Kampfkunst, von dem Mark Spitz noch nie gehört hatte, von dessen nachgewiesener Tödlichkeit er sich jedoch durch eine spontane Demonstration hatte überzeugen lassen. Gamma dröhnte sich jeden Abend zu, sowie sie ihr Biwak für die Nacht bezogen hatten, »in Polizeistationen, wenn eine zur Hand ist«, sagte Foreskin.
    Eine der feierlichsten Runden von Schere, Stein, Papier in der Geschichte der Menschheit entschied zugunsten von Omega: Gamma marschierte vorneweg. »Ist schon in Ordnung«, sagte Foreskin. Um die Skels herauszulocken, fing Josh an, auf einem Kazoo einen alten Heavy-Metal-Song zu spielen. Der Titel war Mark Spitz entfallen. Auf dem Video spielte die Band, in dickes Motorradleder gekleidet, eine Bar-Mizwa. Rückblickend betrachtet eine erstklassige Anti-Skel-Ausrüstung, bis auf den freiliegenden Hals. Bald summten sie alle den Song, dann grölten sie ihn ausgelassen aus voller Kehle.
    Die Station Franklin Street kam schon in Sicht, als sie von hinten, von der Canal Street her, einen Ruf hörten. Sicherungshebel klickten. Die Toten sprachen nicht. War es irgendein fehlgeleiteter Spinner, der sich hier unten versteckt und durchgeschlagen hatte? Mark Spitz war nie einem echten Heimstätter begegnet, aber die Marines hatten auf ihren ersten Runden durch die Zone ein paar eingesammelt. Bürger, die sich in mickrigen Einzimmerwohnungen und unwahrscheinlichen Studios eingeschlossen und es irgendwie geschafft hatten, bis die Soldaten gekommen waren, um die Stadt zurückzuerobern. Wie war es wohl gewesen, nach so langer Zeit die Hubschrauber zu sehen, nachdem sie den Vorrat an Hoffnung aufgebraucht und nur noch pappige, ungesäuerte Sturheit zu beißen gehabt hatten? Marines ließen sich an Seilen herabgleiten und zerfleischten mit ihren Schnellfeuergewehren die Körper der Toten, dieser Teufel, die sie so lange belagert hatten. Die meisten von ihnen

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