Zone One: Roman (German Edition)
Tonscherben der toten Welt sammelten. In dieser Nacht fielen ihm die toten Sonderangebote auf: das handgeschriebene ALLES - MUSS - RAUS -Schild im Schaufenster eines im ersten Stock liegenden Geschäfts von nicht zu ergründendem Zweck, ein Transparent, das das Spezialsandwich der Fastfood-Kette anpries. Ecke Broadway und Canal Street schockierte ihn die Intensität des Gefechts. Die bange Ouvertüre vom vorigen Nachmittag hatte sich zu einer üppigen, neurotischen Symphonie gesteigert. Die Maschinengewehre feuerten ohne Unterlass. Er hatte sich so an das Gewehrfeuer, an die ständige Zunahme des Getöses gewöhnt, dass er nicht bedacht hatte, wie viele Männer und Frauen ein solcher Beschuss erforderte. In den Stellungen auf den Schlüsselgebäuden, von denen aus man die Mauer überblickte, richteten doppelt so viele Scharfschützen ihre Fernrohre auf Ziele, neben den auf den Gesimsen hockenden Wasserspeiern krachte es aus den Mündungen, und die Patronenhülsen hüpften auf der Dachpappe. Auf den Laufgängen, die an der menschlichen Seite der Mauer entlangliefen, waren die Truppen ebenfalls verdoppelt, feuerten, luden nach, visierten ein neues Mehrfachziel auf der Avenue an, die die Mauer vor dem Blick verbarg, und gingen dann zum nächsten über.
Er konnte nicht sehen, worauf die Soldaten zielten, aber er konnte es riechen. Nach der Stärke des Gestanks zu urteilen, verwesten die Leiber auf der anderen Seite der Barriere in riesigen Dünen. Im Westen, in Richtung der Verbrennungsöfen, stieß der Schornstein seine Rauch- und Aschewolke aus, aber sein Brennmaterial musste die Ausbeute der Sweeper sein, da Wonton aufgehört hatte, Leichen von jenseits der Mauer herüberzuhieven. Von den widerlichen Flüssigkeiten der Toten bespritzt, standen die beiden Greifkräne reglos da, gewaltige Gottesanbeterinnen in unergründlicher Pose. Vielleicht hatte man die Maschinen noch nicht repariert, oder man hatte diejenigen, die Krandienst hatten, an die Begrenzung geschickt, damit sie Skels erledigten. Die Blutlachen von gestern hatten sich, von der Masse auslaufender Leichen genährt, zu Seen erweitert.
In unmittelbarer Nähe der Mauer herrschte fieberhafte, wuselige Aktivität, aber nur wenige Meter entfernt, hinter den Frontlinien, spielte sich unbegreiflicherweise der gewohnte Sonntagabend-Trott ab: Pioniere schlenderten in einem Nebelschleier von Sorglosigkeit dahin, während sie die abendlichen Zerstreuungen – Poker oder einen Film in einem der Freizeiträume – planten; Paare stahlen sich zu ihrem Rendezvous davon, bevor die neue Arbeitswoche sie in Beschlag nahm; die Jungs und Mädels der anderen Sweeperteams bedeuteten ihm, sich zu beeilen und zu ihnen in den Jiaozi-Laden zu kommen. Nach so langer Zeit im Schlachthaus waren sie gegen die Tagesordnung der Katastrophe vollkommen abgehärtet.
Sie empfanden nicht, was er empfand. Mark Spitz genoss den Rhythmus in seinen Adern, die Art, wie seine Sinne sich in einen Zustand unheimlicher Wachsamkeit gesteigert hatten. Die eingerosteten Ödland-Systeme wurden hochgefahren, die Algorithmen sortierten Input. Während sich die Tür der Bank hinter ihm schloss, unterstrich das Leiserwerden der Schussgeräusche die wilde Stimmung der Straße. Im Hauptquartier war es ruhig, selbst für einen Sonntagabend. Befand sich die reguläre Armee auf einem Einsatz? Keine Zeit für Ratespiele. Er hatte etwas zu erledigen. Der erste Stock, in dem es so hektisch zuging, wenn Buffalos Launen in Wirklichkeit überführt wurden, war im Augenblick leer.
Das Büro des Lieutenants – Korrektur: Fabios – war abgeschlossen. Mark Spitz rüttelte an der Tür. Zu seinen Füßen waren zwei Kartons aufeinandergestapelt, der obere aufgeschnitten. Er nahm eines der Stücke heraus, das er enthielt: einen Kampfhelm, dessen Rückseite mit einer misslungenen Zeichnung des berühmten Kinderfilm-Gürteltiers versehen war. Der Racker machte einen Muskel, der Bizeps sprang gewaltig vor, während das Tier mit viereckigen weißen Zähnen auf einem Zigarrenstummel kaute. Eine Zigarre in der heutigen Zeit, geraucht von einem Kinder-Kultobjekt: Dafür würde irgendwer gefeuert werden. Mark Spitz musste dem neuen Maskottchen des Wiederaufbaus Respekt zollen: Es war besser auf das Kommende vorbereitet als sonst jemand in Wonton. Außer ihm selbst.
Fabio ließ Mark Spitz zögernd ein, bang vor der schlechten Nachricht des Sweepers, wie auch immer sie aussehen mochte. Als Mark Spitz ihn informierte, murmelte er
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