Zone One: Roman (German Edition)
einen Fluch und sein Blick driftete zu dem Fenster, durch das man auf die Mauer sah. Der Mann bewegte sich in einem Nebel. Er sagte: »Wir müssen ein spezielles T-12-Verwundetenformular ausfüllen. Ich glaube, ich habe hier irgendwo eins.« Er zerrte, offensichtlich verwirrt, an der obersten Schublade seines Schreibtischs, kramte in seinen Taschen nach dem Schlüssel.
Mark Spitz riss ihn an der Hemdbrust zu sich heran. Er legte die Situation in deutlicheren Worten dar.
Fabio sah Mark Spitz ins Gesicht, erkannte ihn erst in diesem Moment. Er entschuldigte sich. »Du hast doch gesagt, es wäre ein Irrläufer gewesen.«
»Dachten wir auch.«
»Das hört sich nicht gut an.«
»Ist es auch nicht«, sagte Mark Spitz. Fabio hatte nicht gerade eine Neigung zu originellem Denken, aber richtig, Garys Zigeunerfluch war ein Problem. Diese Meuterei verstieß gegen die Regeln. Wenn ein Skel gegen die Regeln verstieß, taten es auch noch andere. Das war Logik von Überlebenden: Wenn Mark Spitz am Leben war, mussten es auch noch andere sein. Bis zu dem Tag, an dem das nicht mehr zutraf. Die Wahrsagerin musste ein Irrtum sein, ein vom Kurs abgekommener, böser Komet, das eine Prozent Abweichungen von dem einen Prozent Abweichungen. Oder aber der Zerfall der Welt setzte sich nach all den Monaten dürftiger Intaktheit fort und die robusten Membranen und erschöpften Zellwände lösten sich endlich in schwarzen Schaum auf.
»Wo ist Tammy?«, fragte Mark Spitz. »Er braucht Morphium.«
»Glaubst du, dafür hat er noch Zeit?« Fabios starrer Blick war so leer wie ein Bürgersteig in Midtown. »Ich überlasse das dir. Du bekommst Zugang zu ihren Medikamenten, aber Tammy ist mit einem Hubschrauber unterwegs nach Happy Acres.«
Mark Spitz fragte, wieso.
»Wir haben vor drei Stunden den Kontakt verloren. Haben ein paar Jungs von der Army hingeschickt, damit sie mal nachsehen.«
»Was ist da los?«
»Der letzte Funkspruch war schwer verständlich.«
»Was Fabio sagen will, ist, dass wir den Kontakt zu allen verloren haben.« Es war Bozeman, das aufgedunsene Gesicht von Sorge zerquält. Er hatte seine Uniform gegen volle Kampfmontur eingetauscht, und Mark Spitz sah zu seiner Überraschung eine Panzerfaust auf dem Rücken des Mannes hängen.
»Es liegt an den Funkgeräten«, sagte Fabio. »Sie wissen doch, dass sie kaputt sind.«
»Es liegt nicht an den Funkgeräten«, sagte Bozeman. »Ich bin hergekommen, um Ihnen zu sagen, dass sie die Sweeper zurückholen sollen. Jetzt werden alle Mann an der Mauer gebraucht.«
Fabio neigte den Kopf in Richtung Fenster. »Von hier aus kommt’s einem gar nicht so schlimm vor.«
»Dann kommen Sie mit aufs Dach.«
Während sie zum Hubschrauberlandeplatz eilten, trampelten die restlichen Army-Leute mit schussbereiten Waffen, die Anti-Skel-Helme auf dem Kopf festgeschnallt, die Flure entlang. Mark Spitz hatte schon seit einer Ewigkeit nicht mehr eine so umfassende Mobilisierung gesehen. Er bereute, seinen Rucksack downtown gelassen zu haben.
Sobald sie auf dem Dach angelangt waren, hämmerte ihm die Artillerie wieder gegen die Trommelfelle. Die Militärscheinwerfer waren auf die Mauer darunter gerichtet; Bozeman löste die Arretierung der Räder eines Scheinwerfers und steuerte ihn ächzend an den Ostrand des Gebäudes. Er verstellte den Winkel. Der Lichtkegel vereinigte sich mit denen von anderen Dächern und offenbarte den Horror des Broadways.
Der Ozean hatte die Straßen überschwemmt, als wären die Klimawandel-Simulationen der Nachrichtenprogramme schließlich Realität geworden und die computergenerierten Riesenwellen schickten sich an, die große Metropole zu verschlingen. Nur war es nicht Wasser, was das Straßengitter überflutete, sondern die Toten. Es war die gewaltigste Zusammenkunft ihrer Art, die zu sehen Mark Spitz jemals das Pech gehabt hatte. Die Kreaturen drängten sich, gegen die Gebäude gequetscht, Schulter an Schulter über die gesamte Breite der Straße, ein entsetzlicher Umzug, der sich, soweit das Licht reichte, den Broadway heraufwand und -schob. Die Flut der Verdammten gurgelte und schäumte über die berühmteste Straße der Welt, und trotz ihres Schmutzes, ihrer Wunden und der ganzen Palette nässender Körperöffnungen zeigten sie mit grauen Nadelstreifenanzügen, Classic-Rock-T-Shirts, Cowboystiefeln, Dashikis, gestreiften Kaschmirstrickjacken, befransten Wildlederwesten, schicken Jogginganzügen noch immer voller Stolz, welcher Sphäre sie einmal angehört
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