Zone One: Roman (German Edition)
die Bedeutung des Begriffs Stehvermögen zu klären versuchte. Es war eine Stadionnummer, ein echter Stimmungsmacher, der offenbar reichlich Tantiemen für eine Anzahlung auf die Immobilie abgeworfen hatte. Auf den vergrößerten Zeitschriften-Titelblättern an der Wand war der Besitzer ständig kurz davor, von den anderen Bandmitgliedern, die etwas kultivierter waren, aus dem Bild gedrängt zu werden. Das war das Los des Drummers. Mitten im Badezimmer thronte eine Wanne für Orgien, geräumig und mit einem Schutzgeländer versehen.
Omega schlief im Wohnzimmer und wechselte sich mit der weißen Couchgarnitur ab. Es war angenehm in dem Loft; eines Abends machten sie sogar ein Feuer. Im Arzneimittelschränkchen entdeckte Kaitlyn eine Tube von ihrer Lieblings-Feuchtigkeitscreme, und Gary ertappte sie dabei, wie sie einen Klacks davon stibitzte. Er schnalzte tadelnd mit der Zunge, zückte seine Verbotskärtchen und schwenkte dasjenige, das einen roten Schrägstrich auf einer offenen Kühlschranktür zeigte. Die wuchtigen, übergroßen Fenster hatten weder Rouleaus noch Jalousien, aber es gab keine Nachbarn, die draußen nach Anlässen für Tratsch suchten, kein Umgebungslicht, das sie wachhielt, überhaupt kein Licht.
Ihre letzte Nacht in diesem Planquadrat verbrachten sie jedoch auf Mark Spitz’ Bitte im siebzehnten Stock von Nummer 135. Im Allgemeinen biwakierten sie aus naheliegenden Gründen in den unteren Stockwerken. Unter normalen Umständen hätten Kaitlyn und Gary gegen diesen Lagerplatz ihr Veto eingelegt, aber sie gaben nach, ohne Einwände zu erheben. Mit Ausnahme seiner merkwürdigen Intervention zugunsten des Kopierfuzzis war Mark Spitz seit dem Angriff ungewöhnlich still gewesen. Wenn er an diesem Ort irgendetwas suchte, irgendetwas, was er brauchte, so waren sie bereit, all die Stockwerke hinaufzusteigen und ihm zu helfen. Diesmal. Aber dann hatte er eine ganze Weile nichts mehr bei ihnen gut.
Sie breiteten ihre Schlafsäcke im Besprechungszimmer einer Consultingfirma aus, wobei sie den riesigen Tisch an die Wand schoben und ihre Rucksäcke drauflegten. Sie verzehrten ihre Rationen und gingen, nachdem sie im Flur einen Bewegungsmelder aktiviert hatten, zu ihren jeweiligen nächtlichen Ritualen über: Gary rauchte und zappte durch Teile seines Fremdsprachen-Hörbuchs, Kaitlyn las nach der Schnelllesemethode eine ihrer Biographien über tote Berühmtheiten, und Mark Spitz ging auf und ab. Nach so langer Zeit in der Wildnis brauchte er immer noch lange, um seine unzähligen Subsysteme herunterzufahren. Da gibt es Tabletten, sagte Gary zu ihm, aber er wollte sich nicht betäuben. Er war nachts aufgedreht, wurde von der PABS gebeutelt, aber das hatte ihn am Leben gehalten.
Der Schlafsack war auf den blaugrünen Teppichfliesen durchaus bequem, aber Mark Spitz fehlte das Schlafen auf den Bäumen, zwischen den Ästen hängend wie ein havarierter Drachen. In dem an die tote Trabantenstadt grenzenden Wald, in einem öffentlichen Park, wo er urtümlicher Neigung entsprechend verwilderte, im Hintergarten des Akupunkteurs, wo er über einem Teich mit Koi levitierte. In jenen Anfangstagen streifte er wie die anderen Isolierten von leerem Haus zu leerem Haus und improvisierte. Er inspizierte die Behausung vor Einbruch der Nacht, entschied sich für einen Zugang und säuberte dann Zimmer für Zimmer das Ranch- oder Terrassenhaus oder welcher Typ sonst vor Ort beliebt war. Er überprüfte die Kellerräume, die Wandschränke, den Trockner (man wusste nie), machte Testgeräusche, um etwaige Skels im Hausinnern hervorzulocken, allerdings nicht so laut, dass ein draußen umherstreifendes Rudel aufmerksam würde. Er entdeckte von der Seuche befallene Unglückliche, die man auf Dachböden weggesperrt hatte wie die Fotoalben missglückter Hochzeiten, und stieß auf nässende Elendsgestalten, die mit flauschigen Sexhandschellen an Bettpfosten gefesselt waren. Er erledigte allfällige Skels, die – ob einzeln oder zu mehreren – aus dem Hobbyraum oder dem Kinderzimmer auftauchten, und trat hastig den Rückzug an, wenn die Sache zu brenzlig wurde, nahm immer zwei der teppichbelegten Stufen auf einmal oder sprang zum Fenster, dem unvermeidlichen Fenster, hinaus und landete chaotisch auf der Patio-Garnitur. Er wusste, wann es Zeit war abzuhauen. Es machte klick in seinem Gehirn, so wie er auch schon am ersten Tag eines neuen Schuljahrs gewusst hatte, an welchen Platz er sich setzen musste, um die Wahrscheinlichkeit zu
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