Zone One: Roman (German Edition)
nach so langer Zeit ohne Anweisungen begierig auf einen Daseinszweck. Eines Tages blickte sich Mark Spitz um und stellte fest, dass er nicht mehr alle Menschen im Camp kannte, nicht mehr wusste, wie sie angekommen waren und wen sie verloren hatten – plötzlich war diese Siedlung zu einer Gemeinde geworden. Buffalo installierte Netzwerke zur Nahrungsmittelverteilung, spezialisierte Sammlerteams, auf vorsintflutliche Fertigkeiten eingestimmte Arbeitstrupps, und die Überlebenden konnten etwas anderes in den Händen halten als die behelfsmäßigen Waffen, denen sie Spitznamen gegeben und mit denen sie sich nach Mitternacht rührenderweise unterhalten hatten. Die Anführer plagten sich mit den Details von Unternehmen wie Zone One, die einen Paradigmenwechsel einläuteten. Und so entstanden kraft Gewohnheit aus den Aminosäurepools des Wahnsinns die zaghaften Ansätze einer Bürokratie.
Mark Spitz musste zugeben, dass ihm die Verhältnisse jetzt, wo Buffalo zuständig war und die alten staatlichen Strukturen replizierte, lieber waren. Zunächst einmal gefielen ihm die regelmäßigen Mahlzeiten: Dörrfleisch und zimmerwarmes Cola mit viel Fruchtzucker hatten seine Verdauung ruiniert. Andere wehrten sich gegen die Rückbesinnung. Manchmal mussten die Soldaten gut bewaffnete Mitglieder einer Weltuntergangssekte überzeugen, dass es ungefährlich war, hinter der befestigten Luke hervorzukommen, oder ein paar Hippies aufmischen, um sie dazu zu bringen, dass sie die Farm verließen, bahnbrechende Hydrokultur hin oder her, aber sie schien zu funktionieren, die Rückkehr zu den alten Gesetzen. Beim Wiederaufbau wusste man, wo man stand.
Seine Ankunft in Fort Wonton war ein tiefes Eintauchen in das wiederbelebte System. Nachdem der Pilot seinen Rundflug über den Central Park abgeschlossen hatte, nahm er Südkurs über den Kamm der Gebäude von Midtown. Von oben registrierte Mark Spitz die Makel in der Skyline, die Lücken, die scheußliche Architektur einiger Gebäude, die freudlose Eintönigkeit der Glasflächen. Von oben erschienen sie ihm nicht so großartig; sie waren jämmerlich, keine Brigade von ungebremst ehrgeizigen Himmelsstürmern, sondern eine Zwergenbande, unterentwickelt und verkümmert. Eine verpfuschte Himmelfahrt. Der andere Passagier war ebenso unbewegt, wenn auch aus anderen Gründen. Er sagte den ganzen Flug über kein Wort und ignorierte Mark Spitz’ Anwesenheit. Er trug einen schicken schwarzen Anzug und eine Sonnenbrille wie ein Spion, und er legte sich die schwarze Dokumentenrolle, die mit einer Kette an seinem Handgelenk befestigt war, auf den Schoß und streichelte sie ab und zu langsam. Abgesehen von einem periodischen, roboterhaften Blick, dem ein Nicken folgte, als vergliche er sein inneres Bild vom Verlauf ihrer Reise mit den unter ihnen sichtbaren Orientierungspunkten, schaute er kaum zum Fenster hinaus.
Als der Hubschrauber am Ufer landete, wurde der Mann mit der Dokumentenrolle von zwei ähnlich gekleideten und ähnlich stummen Männern abgeholt. Mark Spitz war für sie unsichtbar und umgekehrt: Während seiner Dienstzeit in Zone One sah er die Agenten dieser hochgeheimen Abteilung nie wieder. Seiner Vermutung nach operierten sie aus einem anonymen Gebäude heraus, das sie mit Beschlag belegt hatten, oder in einem von unterirdischen Generatoren summenden Regierungskomplex, wo man die Katastrophe erwartet hatte.
Was Mark Spitz anging, so zeigte der Pilot ihm den hochgereckten Daumen, hob ab und ließ ihn mitten auf der hellen, reflektierenden Farbe des Lande-X stehen. Er kam sich vor, als hätte man vergessen, ihn vom Flughafen oder vom Bahnhof abzuholen, und dass ihm dieser Vergleich einfiel, legte für ihn den Schluss nahe, dass er sehr viel durchgeknallter war, als er gedacht hatte. Ein Gang an den Dachrand und der Anblick der wunderschönen Mauer kurierten ihn von seiner Enttäuschung. Beim Anflug, als sie über die dehydrierten Skels, die sich in ihrer besinnungslosen Pantomime auf dem Bürgersteig wanden, und dann über das Gebiet jenseits der Mauer, die menschliche Seite, hinweggesurrt waren, war ihm schon ein flüchtiger Blick gewährt worden, aber so aus der Nähe war es anders. Die MG -Schützen beschossen und durchlöcherten die zeitweise auftretenden Skels von ihren Nestern auf den Laufgängen aus, die bulligen Kranführer hievten die triefenden Leichen hoch und ließen sie in kirschrote Container für biogefährliches Material fallen. Die Scharfschützen lungerten da und dort
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