Zonta-Norm regelwidrig
hatten wir auf das zeit- und kraftsparende Springen verzichten müssen, sonst hätten wir uns die Helme an der Decke eingerannt. Statt dessen hatten wir eine neue Fortbewegungstechnik entwickelt: Wir sprangen nur leicht über die Fußballen ab und stießen uns sodann an der Wand in horizontaler Richtung vorwärts. Auf diese Weise erreichten wir Marschgeschwindigkeiten von über zehn Kilometern pro Stunde, und das war angesichts der Enge der Örtlichkeit nichts geringes.
Von der Vorhut kam plötzlich Meldung, daß das Ende des Ganges erreicht sei.
»Wie geht es weiter?« fragte ich Listerman über Helmfunk.
»Ein Schacht, Sir. Zylindrisch, dreißig Meter lichte Weite. An den Wänden entlang zieht sich eine Art Rampe in die Höhe. Die Höhe des Schachts ist schlecht auszumachen, beträgt sicherlich jedoch mehr als fünfhundert Meter.«
»Halten Sie an!« befahl ich ihm. »Dringen Sie auf keinen Fall weiter vor!«
Solange ich mir auch den Kopf darüber zerbrach, ich konnte mir nicht ausmalen, welchem Zweck dieser Schacht in den Tagen der alten Marsianer, vor 187.000 Jahren, gedient haben mochte. Er besaß genau die von Listerman beschriebene Form, und die einzige Möglichkeit, in ihm nach oben zu gelangen, bot die etwa anderthalb Meter breite Rampe, die sich in Form einer Spirale mit nicht unerheblicher Steigung an den Schachtwänden entlangzog.
Wir suchten nach einem anderen Weg, aber es gab keinen. Der Gang, durch den wir gekommen waren, mündete von Osten her in den Schacht. Wir klopften ringsum die Wände ab, konnten jedoch nicht das geringste Anzeichen eines verborgenen Hohlraums entdecken. Ich unternahm einen erneuten – und wiederum vergeblichen – Versuch, mich mit ZONTA in Verbindung zu setzen. Es sah so aus, als bliebe uns nichts anderes übrig, als die Rampe emporzusteigen.
Mit der Zeit schwanden meine Bedenken. Auch der Schacht war hell erleuchtet. Die Strecke, die wir zu überwinden hatten, war weithin übersichtlich. Wenn sich jemand hier auf die Lauer gelegt und uns eine Falle gestellt hatte, dann in denkbar ungünstigem Gelände. Oben, folgerte ich, würde es irgendwie weitergehen.
»Wir steigen hinauf!« entschied ich.
Die alte Marschordnung wurde beibehalten. Mit kräftigen Schritten nahm Listerman als erster die Steigung in Angriff. Von jetzt an gab es keine Tricks mehr, mit denen wir unsere Marschgeschwindigkeit vergrößern konnten. Wer nur von der geringen Gravitation des Erdmondes hört, der übersieht die Gefahr, die ein Sturz auf dem Mond trotz alledem in sich birgt. Wer auf dem Mond aus einhundert Metern Höhe abstürzt, prallt noch immer mit einer Geschwindigkeit von 65 Kilometern pro Stunde auf den Boden, und was das ausmacht, weiß jeder, der mit seinem Wagen bei entsprechender Geschwindigkeit einmal gegen eine Mauer gefahren ist … wenn er mit dem Leben davonkam. Auf dem Mond jedoch mußte ein solcher Aufprall ohne Zweifel zu einer Verletzung der Raumschutzmontur führen, und damit war für den Träger der Montur alle Hoffnung verloren. In Sekundenschnelle würde er an explosiver Dekompression sterben, mit kochendem Blut und vom inneren Druck zerfetzten Gefäßen.
Kein Wunder also, daß sich die Leute dicht an der Schachtwand hielten und dem übrigens ungeschützten Rand der Rampe vorsichtig fernblieben. Nur selten wagte es einer, einen Blick nach unten zu werfen – dorthin, woher wir kamen. Je höher wir stiegen, desto wahrscheinlicher wurde es, daß ein solcher Blick Schwindelgefühle erzeugte, und das konnte gefährlich werden.
Eine Stunde verstrich. Wir hatten inzwischen die Wand des Schachtes unzähligemal umrundet und waren wenigstens vierhundert Meter hoch geklettert. Manchmal
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