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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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Frau, küsste die Männer, setzte sich neben sie und legte ihre Mütze vor sich hin. Ihr Begleiter war unter der Tür stehengeblieben. Er war gross, sein Mantel, eine Nummer zu klein, spannte um seine Schultern. Er fixierte Pippo, kniff die Augen zusammen, kam mit zögernden Schritten auf ihn zu.
    «Robert leibhaftig», raunte Hermann. «Hab gemeint, der sei im Himmel.»
    Die grauen Haare, das etwas fette Gesicht, die breiten Schultern, der Bauchansatz. Robert war vor einem halben Leben ausgewandert in die Staaten, in Feindesland untergetaucht. Kurz nach dem Prozess. Man hatte nie mehr etwas von ihm gehört.
    Er stand dicht vor Pippo, sah ihm ins Gesicht. «Bist du nicht …»
    «Ich bin, ja …»
    Pippo vermied seinen Blick. Robert Brönimann war nie sein Freund gewesen. Genosse, ja. Auch verurteilt damals, aber nur bedingt, zusammen mit Hermann. Dann war er abgetaucht. Aber das Leben holt einen immer wieder ein, das wusste Pippo. So oder so. Diesmal in Gestalt des Klugscheissers und ewigen Studenten, der ihm nun eine Hand entgegenstreckte. Eine wurstige Amerikanerhand. Pippo ergriff sie nicht, setzte sich wieder.
    Hermann kicherte. «Dann ist unser Kommando ja fast komplett.»
    «Maul halten, Rostkopf!»
    «Fehlt nur noch der Bündner Toni …»
    «Schweig!»
    Köpfe drehten sich. Einer der Männer am Tisch stand auf, bat um Ruhe, begrüsste, kündigte die Musik an: «Martins Lieblingsband.»
    «Darf ich?» Robert deutete auf den Stuhl zwischen Pippo und Hermann.
    Pippo rührte sich nicht. Hermann stand auf, umarmte Robert. «Welche Überraschung. Was bringt dich her? Die junge Schöne dort?»
    «Zufall.» Robert zog seinen Mantel aus, hängte ihn über die Stuhllehne und setzte sich.
    «Zufall macht Geschichte. Nicht der Klassenkampf, wie der da meinte.» Hermann deutete mit dem Daumen zu Lenins Bronzekopf an der Wand.
    «Ich bitte um Ruhe!» Der Mann am Tisch erhob sich nochmals, sah in die Runde. Drei Musiker traten an die Instrumente. Der Hackbrettspieler begann mit seinen Schlägern die Saiten sacht zu bearbeiten. Klarinette und Geige setzten ein, leise und melancholisch. Eine Mischung aus Jazz und Appenzeller Volksweisen erklang.
    Pippo schloss die Augen. Wie oft hatten sie in diesem Saal gesessen, scharf beobachtet vom bronzenen Lenin, hatten den Maulhelden der Partei oder einer politischen Gruppe zugehört. Hermann und er waren meist die einzigen mit lupenreiner proletarischer Herkunft gewesen. Arbeiter und Bauern. Die Avantgarde. Sie gehörten zu den wenigen, die schliesslich zur Aktion geschritten waren. Nach dem Putsch in Chile durch General Pinochet im September 1973, dem Tod des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende, den Massakern, Vergewaltigungen und Folterungen an seinen Anhängern im Stadion von Santiago. Konzerne der usa und der cia hatten die Putschisten unterstützt, weil Allendes Unidad Popular Kupferminen, Kohlebergbau und Grossgrundbesitz verstaatlichen wollte. Auf Fotos sah man Militär mit Geschützen der Waffenschmiede Moraves in Oerlikon und Sturmgewehren aus der Schweiz. Ende des Palavers, genug des Geschwätzes und der grossen Worte, sagten sie sich. Schreiten wir zur Tat! Etwas musste geschehen, ein Fanal, ein Aufschrei. Toni Tscharner begeisterte sie für die Idee eines Anschlags, er war ein Scharfmacher, hatte angeheizt. Er hatte den Vorschlag gemacht, sie sollten sich «Kommando Victor Jara» nennen, nach dem ermordeten Sänger und Poeten.
    Nach der missglückten Aktion war Toni verschwunden. In den Achtzigern wieder aufgetaucht, Phönix aus der Asche der bleiernen Zeit, auf der andern Seite der Barrikaden. Anton Tscharner nannte er sich nun. Journalist, Medienunternehmer, Politiker, ein Kopf der Rechten im Land. In Artikeln und Reden hetzte er gegen Einwanderer und Asylsuchende, nannte sie Wirtschaftsflüchtlinge und Kriminaltouristen. Behinderte Menschen, die auf Unterstützung angewiesen waren, beschimpfte er als Scheininvalide.
    Die Musik klang aus. Zwei oder drei klatschten, hörten aber gleich wieder auf, hatten wohl vergessen, dass sie sich an einer Trauerfeier befanden. Pippo öffnete die Augen, der Saal war noch immer nur halb voll. Obwohl es damals noch keine Handys, kein Internet und E-Mail gab, hatten sie oft Hunderte mobilisiert. An den Versammlungen standen sie den Wänden entlang, hockten vorn ums Rednerpult am Boden, die Luft von Rauchschwaden durchzogen.
    Nun redete die Junge, die mit Robert gekommen war. Ihre Stimme war leise. Pippo verstand nicht alles,

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