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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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was sie sagte. Bewundert habe sie Martin Kunz, seine Konsequenz, seine Menschlichkeit seien ihr Vorbild. Im Alter noch engagiert und optimistisch. Er habe sich für eine wohnliche Stadt eingesetzt, für Genossenschaftswohnungen, soziale Projekte. Beharrlich habe er sich gegen die Spekulanten gestellt, das habe ihn das Leben gekostet. Es reizte Pippo, dazwischenzurufen: Und der Friesenberg? Kein Wort hat er gegen den Abriss von günstigen Wohnungen am Friesenberg verloren. Auch Genossenschaften sind Spekulanten geworden. Aber er biss die Zähne zusammen.
    Die Junge rang nach Worten, tupfte sich die Tränen ab mit dem Tuch, das sie um den Hals geschlungen hatte. Lange braune Haare fielen ihr über die Schultern. Pippo hatte den Eindruck, sie sei die Geliebte von Kunz gewesen. Eine seiner Frauengeschichten.
    «Eine Schlägerbande hat Martin in den Tod getrieben», fuhr sie fort, «brutale Typen auf Motorrädern. Es war kein Unfall, wie die Polizei behauptet. Sie haben ihn verfolgt, in die Enge getrieben. Ein politischer Mord.»
    Einige klatschten. Man stand auf, schwieg im Andenken an Martin eine Minute, setzte sich wieder. Die Junge mit dem flachen Hut glich Alice auf jener Wanderung auf den Monte Morello, als sie sich zum ersten Mal geküsst hatten. Florenz in der Ferne im Dunst, die Olivenhaine entlang der Hügel gegen Fiesole. Ihre warme Stimme, ihre Zärtlichkeit. Die Schatten über der Ebene, der Wein. Die erste Nacht.
    Pippo fuhr hoch, als jemand seinen Arm packte und schüttelte.
    «Was ist?»
    «Wacht auf, Verdammte dieser Erde!» Hermann grinste und zwirbelte seine Schnauzzipfel.
    «Dummkopf!»
    «Ende Feier, Ende Feuer. Gehn wir was trinken.»
    Pippo wischte sich die Augen. Bei der Tür stand Robert und unterhielt sich mit der Jungen mit dem Tellerhut. Ihr Gesicht war gerötet, von Trauer keine Spur mehr.

    Die Glatzköpfe hatten sich vor dem Bezirksgebäude gegenüber dem Volkshaus versammelt. Hermann zählte ein gutes Dutzend. Sie trugen Jacken aus Tarnstoff und kurze Lederstiefel, glotzten herüber, pfiffen oder reckten den Mittelfinger nach oben.
    «Linke und Grüne, ab von der Bühne», grölten sie im Chor.
    Die Gäste der Trauerfeier standen auf dem Gehsteig unter dem Vordach und schauten in den Regen. Einige diskutierten, ob man auf die Provokation reagieren solle oder sie ignorieren. Die Glatzköpfe hatten bestimmt Schlagringe und Ketten in den prallen Taschen ihrer Kampfanzüge, sie suchten den Krawall. Die Trauergäste waren nur mit Schirmen bewaffnet.
    Hermann sah, wie sich Roberts Fäuste ballten. Er hatte Handball gespielt, fiel ihm ein. Sport galt damals auf der Linken als politisch unkorrekt, als bürgerliche Zeitverschwendung. Für den Lehrersohn war Handball ein proletarischer Sport, ein Mannschaftssport, bei dem es hart auf hart ging. Nach dem Globuskrawall im Sommer 68 hiess es, Robert habe einen Polizisten zusammengeschlagen. Das verschaffte ihm Ansehen in der Szene. Jetzt schien er sich zu fassen, seine Fäuste lösten sich. Er murmelte zwei oder dreimal vor sich hin: «Und das in Zürich.»
    «Das sind die Typen, die Martin umgebracht haben!» Die Junge mit dem afghanischen Pakol auf dem Kopf stand dicht bei Robert, hielt sich an seinem Arm. Sie zitterte vor Erregung. «Mörder, Mörder!», gellte ihr Stimme.
    Niemand unterstützte sie. Die Leute hatten keine Lust auf eine Schlägerei, ein paar verzogen sich ins Volkshaus oder gegen den Stauffacher. Die Glatzköpfe johlten, ein Dicker mit einer Wollmütze steckte den Zeigefinger in die Faust, bewegte ihn hin und her, brüllte etwas von «linken Fotzen» und «Ficken …» Hände reckten sich in die Höhe zum Hitlergruss.
    Eine Bierbüchse flog über die Strasse. Hermann kickte sie zurück. Steine folgten und Latten von einer Baustelle. Eine krachte einem Auto in die Seite, der Fahrer bremste scharf. Glatzköpfe umringten das Auto, Fäuste trommelten aufs Blech. Der Fahrer gab Gas.
    «Mörder, Mörder!», schrie die Junge.
    Robert legte ihr eine Hand auf die Schulter. «Beruhig dich, das bringt nichts.»
    Aus der Langstrasse raste ein Polizeiwagen mit Blaulicht quer über den Helvetiaplatz, stoppte beim Arbeiterdenkmal. Polizisten in Kampfmontur sprangen heraus, stellten sich auf ein Glied. Ein Offizier trat vor die Gruppe, forderte die Leute übers Megafon auf, sich zu zerstreuen. Gegen den Stauffacher hin waren zwei Mannschaftswagen aufgefahren. Die Polizisten bildeten eine Front, Schild an Schild, die Helmvisiere heruntergeklappt.

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