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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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Tanguero.»
    «Der hätte gescheiter getanzt statt Revolutionär gespielt.»
    Auch Sara, dachte Robert. Sie hätte bestimmt gerne getanzt. Wären sie tanzen gegangen statt an Demos, dann würde sie noch leben. Eine ältere, aber noch immer attraktive Dame. Frau Brönimann vielleicht. Er versuchte, sich ihr Gesicht vorzustellen. Wie sie in diesen Stühlen von gestern sitzt. Es glich Ariane, die verschwunden war.
    Pippo streckte drei Finger in die Höhe. Der Kellner, ein Schwarzer mit Boxergesicht, brachte drei Stangen Bier. In Zürichdeutsch fragte er: «Wisst ihr, warum die Eidgenossen auf dem Rütli drei Finger gehoben haben?»
    «Zum Zeichen der Revolution!»
    «Nein, sie bestellten drei Bier.» Er lachte schallend, hielt das Tablett wie einen Schild vor die Brust. Dann drehte er sich um und ging weg.
    «Für mich ein Mineral», sagte Hermann. Er reichte sein Bier einem Alten mit verfilzten Haaren und Bart, der sich dazugesetzt hatte und einen üblen Geruch verbreitete. «Iwan, ein alter Genosse.»
    «Seit wann trinkst du kein Bier mehr?»
    «Seit dem Fall der Berliner Mauer.»
    Pippo tippte sich an die Stirn, nahm einen Schluck und wandte sich an Robert. «Erzähl doch mal was von dir.»
    Robert wischte sich den Schaum von den Lippen. «Ich war Dozent für Deutsche Literatur an der University of Iowa. Pensioniert, verheiratet, eine Tochter, ein Enkel, besitze ein Haus, einen Hund, einen Ford und zwei Katzen.»
    Hermann krähte: «Heilige Madonna. Wie hast du das geschafft? Dich haben sie doch aus der Uni geschmissen nach dem Prozess.»
    Robert verschluckte sich und hustete. Pippo klopfte ihm auf den Rücken. «Er ist zum Klassenfeind übergelaufen. Wie der Toni.»
    «Bist du überhaupt noch Schweizer?», fragte Hermann.
    «Ich hab noch einen roten Pass.»
    «Also kein vaterlandsloser Geselle?»
    «Doppelbürger.»
    Robert wischte sich mit einem Papiertaschentuch den Mund. Er wollte nicht über sein anderes Leben sprechen. Hatte schon zuviel preisgegeben. Wie er Professor geworden war ohne Universitätsabschluss, behielt er besser für sich.
    «Iowa, das ist doch bei den Indianern, oder nicht?»
    «Es war einmal. Midwest, im Westen von Chicago. Maisfarmer, Schweinemäster, Studenten und Professoren. That’s it.»
    Der Koffer fiel Robert ein, er hätte nochmals anrufen müssen. Doch war ihm, als habe er ohne sein Gepäck die Verbindung zu seinem andern Leben verloren, als sei er zurückgekehrt und alles nur ein Traum gewesen, die Universität, sein gefälschtes Diplom, Marilyn und ihr Clan. Und der Vortrag, den er morgen halten müsste. Max Frisch. Robert hatte ihn einmal im Volkshaus erlebt, 1975, als der Schriftsteller Adolf Muschg für den Ständerat kandidierte. Frisch unterstützte seinen Kollegen, argumentierte kristallklar und überzeugend, warum ein Sozialdemokrat den Kanton Zürich in Bern vertreten sollte. Ein Mann der Kultur. Ein Mann von Welt. Ein Genosse. Muschg wurde nicht gewählt. Kalter Krieg herrschte, die Truppen der USA hatten ein Jahr zuvor fluchtartig Vietnam verlassen. Frischs Roman «Montauk» erschien in jenem Jahr. Robert war kurz darauf ausgewandert, das Buch im Gepäck.
    Sie tranken und sprachen von einst. Auch Pippo wurde gesprächig. Liess sich aus über Toni Tscharner, den Führer ihrer revolutionären Zelle. Heute Oberguru der Rechten in der Stadt. Wendehals, Opportunist, Verräter. Ein Spitzel sei er gewesen, ein Agent Provocateur im Dienst der Bundespolizei.
    «Toni war schon immer ein autoritäres Schwein», sagte Robert. «Aber ein Spitzel? Glaube ich nicht.»
    «Ich habe Beweise», behauptete Pippo. «Warum ist Toni als einziger ohne Verfahren davongekommen?»
    «Weil wir geschwiegen haben. Weil wir solidarisch waren und ihn deckten.»
    «Dafür hat er überall erzählt, Sara habe uns verraten.» Hermann sah Robert an. «Sie war dein Mädchen.»
    Robert schwieg.
    Pippo kaute an einem Streichholz. «Meine Fiche ist der Beweis.»
    Nachdem Ende der Achtzigerjahre die Archive der Bundespolizei aufgedeckt wurden, vom Genossen und späteren Bundesrat Moritz Leuenberger, habe er seine Fiche angefordert und genau studiert. «Vierundzwanzig Seiten!» Jeden Eintrag habe er seziert. Da habe es Informationen gegeben, die nur von Toni stammen konnten. Obwohl die Namen der Informanten schwarz abgedeckt waren.
    «Bist du sicher?»
    «Erinnert ihr euch an den Streik bei der Kugellagerfabrik in Oerlikon? Toni und ich haben uns bei einer Betriebsversammlung in Überkleidern unter die Belegschaft

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