Zores
den roten Überläufer nimmt, könntets ruhig ihn zum Bürgermeister nehmen.“
„Und das war sein Todesurteil?“
„Na, des no ned. Aber dann hat er ang’fangen zum Drohen. Hat g’meint, der Schuschnigg tät sich schön freu’n, wenn er wissert, dass der Suchy vom Innenminister persönlich liquidiert worden ist. … So ein alter Depp! Grad der hätt wissen müssen, worauf er sich da einlasst. Dem hätt klar sein müssen, dass er sich mit einer solchen G’schicht’ überhebt. Na ja, für solche Elemente ist in der Volksgemeinschaft eh kein Platz.“
„Und warum wieder die Gurgel?“
„Weil’s passt hat! Das Messer hab ich noch in der Hosentaschen g’habt, und ich hab mir denkt, wenn zwei Leut’ im selben Haus auf dieselbe Weise umbracht werden, dann denkts ihr an irgendeinen gestörten Lustmörder oder so und ned an …“
„… eine parteiinterne Vendetta“, vollendete Bronstein den Satz. „Aber wie hast ihn dazu kriegt, dass er dir so ruhig den Rücken zuwendet?“
„Ich hab ihm einen Vertrag vorg’legt, wo angeblich draufg’standen is, dass er eine Leibrente bekommt und so weiter. Hat er sich vorbeugt, um die Klauseln zu lesen. Derweil hab ich das Messer g’nommen … und ratsch.“
Schönberger deutete das Durchschneiden der Kehle mimisch an.
„Siehst, und genau das war dein Fehler. Mit der ersten G’schicht’ wärst noch relativ billig davonkommen. Aber so, mit einem Doppelmord, wanderst lebenslang nach Stein. Wennst nicht überhaupt …, na, das kannst dir ja denken.“
Schönberger lächelte siegesgewiss. „Einen Dreck werd ich! Nächste Woche ist der Parteigenosse Seyß-Inquart schon Bundeskanzler! Und dann sitzts ihr in Stein, und ned i. So schaut’s aus.“
„Das werden wir noch sehen“, entgegnete Cerny kalt. „Vorerst g’hörst einmal uns.“
„Oder auch nicht!“
Blitzschnell hatte Schönberger nach einem Buch gegriffen und es gegen Cerny geschleudert. Der wich zwar gekonnt aus, vermochte es dabei aber nicht zu verhindern, dass Schönberger, der von seinem Platz aufgesprungen war, ihn samt seinem Sessel umwarf. Noch ehe Bronstein aufstehen konnte, verpasste Schönberger ihm einen Kinnhaken, sodass er seitlich vom Stuhl fiel. „Ned scho wieder“, dachte Bronstein, ehe er unsanft auf dem Boden landete. Schönberger aber erreichte in der Zwischenzeit die Tür, riss sie auf und schickte sich an, durchs Stiegenhaus ins Freie zu flüchten.
„Ihm nach!“, keuchte Bronstein, während er seinen Ellbogen rieb. Wahrscheinlich war der geprellt, dachte er.
Cerny war in Windeseile wieder auf den Beinen und hetzte Schönberger nach. „Stehenbleiben oder ich schieße!“, schrie er am Treppenabsatz und gab einen Warnschuss an die Decke ab.
Schönberger aber lief einfach weiter, sodass Cerny nichts anderes übrig blieb, als die Verfolgung aufzunehmen, während Bronstein umständlich versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Schon das Aufstehen selbst fiel ihm schwer. Er musste sich an der Sessellehne anhalten und daran hochziehen. Dabei fuhr ihm der Schmerz in alle seine Glieder. So musste sich, dachte er, ein Ischiasanfall anfühlen. Er hielt einen Augenblick inne, atmete so tief wie möglich durch und bewegte sich dann langsam auf die Tür zu. Endlich im Treppenhaus angelangt, beugte er sich über das Geländer und blickte nach unten. Er erkannte, dass Schönberger schon beinahe beim Erdgeschoß angelangt war, während Cerny langsam, aber sicher aufholte. Bronstein verdrehte die Augen, biss die Zähne zusammen und schickte sich ebenfalls an, die ebene Erde zu erreichen.
Jeder einzelne Schritt tat ihm weh. „Ich bin definitiv zu alt für so seinen Schmarrn“, fluchte er, während er völlig außer Atem im ersten Stockwerk innehielt. Seine Hand krampfte sich am Geländer fest, während er hektisch aus- und einatmete. Als das Schwindelgefühl, von dem er befallen worden war, endlich nachließ, gab er sich einen Ruck und setzte seinen Lauf nach unten fort.
Nach einer halben Ewigkeit war er beim Haustor angekommen. Dort musste er sich erst orientieren. Als Erstes sah er etwa 30, 40 Meter von sich entfernt Cerny die Straße abwärts laufen, ehe ihm endlich auch der flüchtende Nazi auffiel. Cerny hatte immer noch die Waffe in der Hand, zögerte aber offenbar, in der Öffentlichkeit Gebrauch davon zu machen. Merkwürdig verzerrt kam sein neuerlicher Ruf nach sofortigem Stehenbleiben bei Bronstein an, der gleichwohl sah, dass Cernys Appell nichts fruchtete. Schönberger
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