Zorn der Meere
jemals fragte, wie sie, Lucretia, sich fühlte? Ob sie sich ängstigte, darbte, ob sie starb? Oder war sie
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ihm wie eine Laune verflogen, in Vergessenheit geraten wie ein dummer Zeitvertreib?
Eines Nachts war es so weit. Jeronimus rief seine Anhänger zusammen. Sie hockten um ein kleines Feuer und tranken Wein.
»So wie ich es sehe«, begann Jeronimus, »bedeuten nur die Söldner eine Gefahr. Wir müssen sie von hier fortschaffen.
Anschließend wird es leicht sein, die anderen zu kontrollieren.«
Er blickte in die glänzenden Augen, in denen sich die tanzenden Flammen widerspiegelten.
»Wir wissen nur leider noch nicht, wie wir das anstellen sollen«, murmelte van Huyssen.
Jeronimus ignorierte ihn. Er wandte sich an Zeevanck. »Wart Ihr nicht heute auf der langen Insel im Westen?«
Zeevanck nickte.
»Und?«, drängte Jeronimus. »Wie sieht es dort aus?«
»Wie soll es da aussehen?«, brummte Zeevanck. »Genau wie hier. Ein Felsbrocken mit Gestrüpp und Korallenstrand. Pisse und Schweiß sind das einzige Wasser.«
Jeronimus lächelte zufrieden. »Prächtig«, bemerkte er.
»Morgen setzt Ihr ein zweites Mal über. Nehmt zwei, drei der Jonkers mit. Wir werden behaupten, dass Ihr nach Wasser sucht.
Wenn Ihr zurück seid, verbreiten wir die Mär von einer Wasserstelle, deren Vorrat für alle reicht. Danach werden die Söldner mit leeren Fässern dorthin geschickt. Leider wird es für sie keine Rückkehr mehr geben. Die Natur übernimmt diesmal die Auslese.«
Conrad pfiff anerkennend durch die Zähne.
»Und was geschieht, wenn sie dort tatsächlich auf Wasser stoßen?«, wollte Zeevanck wissen.
»Aber, lieber Zeevanck«, sagte Jeronimus tadelnd. »Unser Herr Kommandeur hat doch wohl jede Insel sorgsam abgesucht, ehe er so sang- und klanglos verschwand.«
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Die anderen brachen in schallendes Gelächter aus.
»Damit hätten wir uns der Söldner entledigt«, ergriff Conrad das Wort. »Und was ist mit ihren Waffen?«
»Na, was wohl?«, fragte Jeronimus. »Die Waffen bleiben hier. Seit wann sind denn zum Wasserholen Schwerter und Säbel nötig?«
Conrad grinste ihn an. »Danach wird niemand mehr wagen, sich gegen uns aufzulehnen. Dann sind wir das Gesetz.«
»Ganz recht«, pflichtete Jeronimus ihm bei. »Anschließend beugt man sich unserem Willen. Wir werden genug zu essen und trinken haben und« - er machte eine Kunstpause - »genug Frauen, um uns zu amüsieren.«
Seine letzte Bemerkung stachelte die Männer auf. Conrad spürte, dass ihm die Hitze durch die Lenden schoss. Der Steinmetz grunzte unbestimmt, rutschte jedoch mehrmals unruhig hin und her.
»Wir können tun, wonach uns verlangt«, hob Jeronimus noch einmal hervor. »Wir sind Herrscher. Und wehe dem, der sich gegen uns erhebt!«
Wiebe beobachtete Pie ter Janz, seinen Feldwebel, der sich mit dem Unterkaufmann zu streiten schien. Die beiden verstummten, als Wiebe zu ihnen trat.
Jeronimus maß Wiebe mit abwägenden Blicken, ehe er sich umwandte und wortlos verschwand.
»Was wollte er?«, erkundigte sich Wiebe, während er den Kopf in den Nacken legte und zu den Möwen hoch sah, die heiser kreischend umeinander schwirrten.
»Herr Cornelius wünscht, dass du mit den anderen Söldnern zu der langen Insel im Westen ruderst und leere Fässer mit Wasser füllst. Zeevanck hat dort eine große Wasserstelle entdeckt.« Janz zwang sich zu einem Lächeln. »Seht zu, dass ihr
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auch auf eine Weinquelle stoßt. Ich könnte einen ordentlichen Schluck gebrauchen.«
»Und was ist mit Euch?«, fragte Wiebe. »Begleitet Ihr uns nicht?«
Janz legte die Hand an den Knauf seines Schwertes. »Der Unterkaufmann möchte mich hier behalten, für den Fall, dass etwas geschieht.«
Wiebe zuckte mit den Schultern. »Na gut«, brummte er. »Mal was anderes. Ich bin es ohnehin leid, den Horizont nach Segelschiffen abzusuchen.«
»Ihr könnt die Messer mitnehmen, um Holz für die Feuer zu schneiden«, fuhr Janz fort. »Die Gewehre und die Schwerter bleiben hier.«
Wiebe blickte den Feldwebel verwundert an. »Seit wann trennen wir uns von unseren Waffen?«, fragte er. »Wir sind schließlich Soldaten, oder nicht?«
»Der Unterkaufmann will es so«, beschied Janz ihn. »Er befürchtet, dass ihr euch in die Haare geratet, und möchte nicht, dass ein Kampf entsteht.«
»Was soll das heißen? Wir sind uns doch bis jetzt auch nicht in die Haare ge raten.«
Der Feldwebel machte eine hilflose Geste. »Mir schmeckt das ebenfalls nicht, aber der
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