Zorn der Meere
bereits wieder zum Gehen wenden, als ihr Sussies Bitte einfiel.
»Da wäre noch etwas«, hub sie an. »Etwas, das Euch womöglich unmittelbar betrifft. Vielleicht habt Ihr es bereits vernommen.«
Über Jeronimus' Gesicht huschte ein Schatten. »Ich fürchte, Ihr müsst deutlicher werden.«
»Erinnert Ihr Euch an einen Mann namens Ryckert?«
Jeronimus verneinte. »Nicht, dass ich wusste. Wer soll das sein?«
»Ein Soldat wohl oder ein Matrose. Ich hörte ihn eines Nachts mit den anderen reden. Es ging um einen Plan, nach dem der Kommandeur hätte ermordet werden sollen. Angeblich steckte auch der Kapitän dahinter.«
»Na, aber!«, rief Jeronimus augenzwinkernd. »Vielleicht hatte da jemand ein bisschen zu tief ins Glas geschaut.«
»Oder er hat die Wahrheit verkündet. Seitdem ist Ryckert jedenfalls fort.«
Jeronimus schürzte die Lippen. »Verstehe ich Euch richtig?«, fragte er mit schief gelegtem Kopf. »Wollt Ihr etwa ein Komplott andeuten? Einen Aufstand? Eine Meuterei?«
-270-
»Etwas in der Art.« Lucretia nickte.
»Und vermute ich richtig, dass Ihr die Verschwörer noch immer unter uns vermutet?«
»So ist es«, bestätigte Lucretia.
»So ist es«, wiederholte Jeronimus versonnen. Er ließ seinen Blick in die Ferne schweifen. »Hat dieser Mann... hat dieser Ryckert Namen genannt?«
»Nein. Allerdings war Zeevanck auch anwesend. Er schien zu wissen, worum es ging.«
Jeronimus hob die Brauen. »Ist das alles?«
»Reicht das nicht? Dieser Ryckert war übrigens auch der Meinung, der Kapitän kehre nicht zurück.«
»Ach herrje.« Jeronimus lachte. »Euer Ryckert war offenkundig ein ausgesprochener Pessimist.« Er machte eine Pause, ehe er hinzusetzte: »In diesem Punkt kann ich Euch beruhigen, meine Liebe. Jacobs kommt garantiert wieder.«
Lucretia blickte ihn verblüfft an. »Woher nehmt Ihr Eure Gewissheit?«, erkundigte sie sich.
»Verlasst Euch einfach auf meinen Instinkt.«
Lucretia wollte etwas erwidern, doch Jeronimus kam ihr zuvor. »Seid unbesorgt«, versicherte er ihr. »Euch geschieht nichts. Nicht, solange ich hier bin.«
»Ich dachte eigentlich weniger an mich, sondern an -«
»- sondern an mich, und das ehrt mich. Doch in diesem Fall ist Eure Sorge erst recht unbegründet.«
Jeronimus griff nach der Weinflasche. »Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht doch einen Schluck wollt?«
»Ich muss zu den Frauen zurück«, entschuldigte sich Lucretia.
»Vermutlich warten sie auf mich.«
»Dann ein anderes Mal«, erwiderte Jeronimus gut gelaunt.
»Wir habe ja noch ein wenig Zeit, nicht wahr?«
-271-
Lucretia murmelte einen Abschiedsgruß und machte sich auf den Rückweg. Er war nett, er war sogar reizend, sagte sie sich.
Was hat er nur an sich, das mich dermaßen misstrauisch werden
lässt?
Sussie begleitete Anneken Hardens auf einem Spaziergang über die Insel. Hilletje hüpfte munter um sie herum. Bisweilen stürzte sie sich mit einem Freudenschrei auf die winzigen weißen Blumen, die unter den Sträuchern blühten, und pflückte sie zu einem Strauß.
»Hatte Claas sich eigentlich von Tryntgen verabschiedet?«, erkundigte sich Anneken.
»Nein«, antwortete Sussie bedrückt. »Er hat sich wortlos aus dem Staub gemacht.«
Sussie schaute zu Hilletje hinüber, die nun im Sand und unter Steinen nach kleinen Taschenkrebsen suchte. Doch schon im nächsten Moment sprang die Kleine auf und jagte einer Möwe hinterher.
»So sind die Männer nun mal!«, erklärte Anneken mit einem Seufzer.
»Warum sagst du das? Hat Hans dich etwa im Stich gelassen?«, entgegnete Sussie.
»Wahrscheinlich hat sich ihm nicht die Gelegenheit geboten«, gab Anneken nachdenklich zurück.
Sussie betrachtete sie erstaunt. »Liebt er dich nicht?«, fragte sie.
Anneken zuckte die Schultern. »Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ob man sich liebt, erfährt man erst, wenn es schwierig wird.«
»Das finde ich nicht«, widersprach Sussie. »Ich glaube, dass -
«
-272-
»Ach, Sussie«, sagte Anneken. »Was du glaubst, spielt keine Rolle. Du bist doch noch ein Kind.«
»Lass uns umkehren«, entgegnete Sussie verärgert. »Ich mag es nicht, wenn Tryntgen zu lang mit sich allein ist.«
Die beiden Frauen begaben sich in Richtung Strand zurück.
Anneken rief Hilletje zu sich. Die Kleine zeigte ihrer Mutter stolz ihren kleinen Blumenstrauß.
Wenig später trafen sie auf eine Gruppe Jankers.
»Guten Tag«, sagte Sussie knicksend.
»Wohin so eilig?«, rief einer von ihnen. Die Männer stießen sich heimlich an
Weitere Kostenlose Bücher