Zorn der Meere
sieht fast wie der Friedhof aus, dachte Wiebe. Sie war jedoch größer. In der Länge schätzte Wiebe sie auf gut eine Meile.
Es dauerte nicht lang, bis sie die leeren Fässer an Land geschafft hatten, doch van Huyssen ließ es sich dennoch nicht nehmen, großspurig Aufsicht zu führen. Er hatte sich eine Feder an den Hut gesteckt, stolzierte auf und ab und stemmte sich die Fäuste in die Seiten. Vermutlich hält er sich bereits für einen General, dachte Wiebe verächtlich.
Zeevanck war auf einem der Flöße zurückgeblieben. »Die Wasserstelle, zu der ihr laufen müsst, befindet sich am Südende der Insel!«, rief er den Söldnern zu.
»Wenn ihr fertig seid, zündet ihr ein Feuer an«, erklärte van Huyssen unterdessen. »Dann kommen wir euch holen.«
»Wartet Ihr denn nicht?«, erkundigte sich Wiebe.
»Zeevanck und ich rudern zurück«, beschied van Huyssen ihn knapp. »Der Unterkaufmann wünscht das so.«
Wiebe und seine Kameraden tauschten verwunderte Blicke.
Davon hatte der Feldwebel nichts gesagt.
Schließlich" zuckte Wiebe die Achseln. Was soll's? überlegte er. Auf die Gesellschaft von Zeevanck und van Huyssen konnten sie gut verzichten. Lediglich die Flöße hätte er lieber in Reichweite gewusst.
Wiebe schaute zu, wie van Huyssen mit vorsichtigen Schritten durch die seichte Lagune watete. Abermals beschlich ihn ein merkwürdiges Gefühl.
Van Huyssen kletterte auf das Floß, und Zeevanck legte ab.
»Bis bald!«, rief Zeevanck fröhlich.
Und wenn sie nun nicht mehr wiederkommen? fuhr es Wiebe durch den Sinn. Doch er wischte den Gedanken fort. Sie mussten ja zurückkehren, fiel ihm ein. Die Menschen auf dem Friedhof benötigten schließlich das Wasser.
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Auf dem Friedhof
Auf der Batavia waren Fragen und Streitigkeiten von eine m Schiffsrat geregelt worden, der aus dem Kommandeur, dem Kapitän, dem Unterkaufmann, dem Ersten Steuermann, dem Schiffsmarschall und dem Pfarrer bestand. Er tagte gewöhnlich in der Offiziersmesse bei einem Essen und einer guten Flasche Wein.
Inzwischen ha tte sich ein neuer Rat gebildet, der sich aus dem Pfarrer, Pieter Janz, Zeevanck und Deschamps zusammensetzte.
Seit Jeronimus auf der Insel angekommen war, stand er diesem Rat vor.
Wenn die Mitglieder vor Jeronimus' Zelt zusammentrafen, gesellten sich die Bewohner der Insel ihnen zuweilen zu. Es war ihnen allerdings nur gestattet zuzuhören. Ein Mitspracherecht besaßen sie nicht.
An diesem Tag hatte Jeronimus jedoch darauf bestanden, dass der Rat sich zu einer vertraulichen Sitzung zusammenfand.
Pfarrer Bastians tauchte als Letzter auf. Er hielt seine Bibel an sich gedrückt und ließ sich mit salbungsvoller Miene nieder.
Wenn er wüsste, wie sehr ich ihn verachte! dachte Jeronimus.
Im Geiste sah er eine ganze Reihe schwarz gewandeter Gestalten mit verkniffenem Gesichtsausdruck auf einer langen Holzbank sitzen und über seinen Freund Torrentius richten. Er hörte die kleinlichen Fragen, die ihr kümmerlicher Verstand gebar, und fragte sich, wie derartige Krämerseelen sich anmaßen konnten, die Gedanken eines Torrentius oder gar die endlose Größe des göttlichen Willens begreifen zu wollen.
Mit einem Seufzer kehrte Jeronimus in die Gegenwart zurück.
Er eröffnete die Versammlung und legte den ersten Punkt seiner Tagesordnung vor.
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Die Insel, erklärte Jeronimus den Ratsmitgliedern, sei zu überfüllt, um ein friedliches Miteinander der Menschen zu gewähren. Infolgedessen habe er beschlossen, die Gestrandeten in Gruppen aufzuteilen und etliche davon auf die umliegenden Inseln zu verlagern.
Während er seine Gründe darlegte, weidete Jeronimus sich insgeheim an der Verblüffung, die sich auf den Gesichtern seiner Ratsbrüder abmalte.
Wie bequem sie bereits wieder geworden sind! dachte er spöttisch. Wie behaglich sie sich abermals im Bestehenden eingerichtet haben und sich gegen Veränderungen sträuben, und sei die Lage noch so schlecht!
Für eine Weile schwiegen alle, bis Pieter Janz das Wort ergriff und unsicher fragte: »Muss das denn wirklich sein?«
»Ich denke schon«, erwiderte Jeronimus. »Die Reinlichkeit lässt zu wünschen übrig, da die Bedingungen unzulänglich sind.
Zudem benötigen wir bereits jetzt das Buschwerk der Nachbarinseln, um unsere Feuer in Gang zu halten, und von dort beziehen wir auch einen großen Teil dessen, was wir verzehren.
Was läge also näher, als die Menschen auf diesen Inseln anzusiedeln?«
»Und wie stellt Ihr Euch das vor?«, erkundigte sich
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