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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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aus.
    »Hinaus, Judith!«, befahl er. »Und zwar sofort.«
    -275-

    »Sie brauchen Wasser und ein Dach über dem Kopf«, beharrte Judith störrisch. »Wir besitzen beides und sollten es mit ihnen teilen. Die Bibel sagt, wer zwei -«
    Pfarrer Bastians sprang von seinem Sitz auf. »Du wagst es, mich über die Bibel zu belehren?«, rief er, außer sich vor Empörung.
    »Weil Ihr unchristlich geworden seid«, gab Judith zurück. Sie war feuerrot geworden und zitterte am ganzen Leib.
    »Du... du undankbares Geschöpf!«, schäumte Pfarrer Bastians. »Christlich zu sein, heißt Vater und Mutter zu ehren, vergiss das nicht!« Er ließ sich auf seinen Schemel zurückfallen und warf Conrad einen Mitleid heischenden Blick zu. »Ein halsstarriges Weib«, murmelte er. »Sie muss gezüchtigt werden.«
    Conrads Wangen hatten sich bei seinen Worten leicht gerötet und sein Blick ruhte auf Judith.
    »Die Kranken brauchen Wasser«, wiederholte Judith hartnäckig.
    »Ebenso gut könntet Ihr das Wasser in den Sand gießen«, schaltete Conrad sich nun ein, während er Judiths Miene studierte. »Die Kranken sterben ohnehin.«
    »Verschwinde, Judith, ehe ich mich vergesse!«, zischte Pfarrer Bastians. »Herr van Huyssen und ich haben Wichtiges zu besprechen. Auf deinen Ungehorsam komme ich später noch zurück.«
    Judith warf den beiden Männern einen hitzigen Blick zu.
    Danach machte sie auf dem Absatz kehrt und stürmte zu den Soldaten, die an den Fässern Wache standen. Von ihnen ließ sie sich ihre Wasserration für den Tag austeilen und begab sich damit zu den Kranken.

    -276-

    XVI

    Keine Sorge, ich bin nicht verstummt.
    Ich war lediglich beschäftigt, hatte sozusagen alle Hände voll zu tun.
    Dabei wollte ich Ihnen doch längst vermittelt haben, dass es dem reinen, tugendhaften Menschen im Allgemeinen an Versuchungen gebricht.
    Das ist mir zwar in der Eile ein wenig herausgeplatzt, aber es trifft den Kern.
    Ich weiß, Sie möchten sofort die innere Stärke zitieren, mit der sich jemand der Versuchung erwehrt. Nun, innere Trägheit ließe ich vielleicht noch gelten, aber das ist das Äußerste meines Entgegenkommens.
    Was aber die innere Stärke betrifft, so stelle ich fest, dass sie in dem Maße sinkt, wie die Versuchung steigt.
    Man muss nur den richtigen Köder auslegen, die Schwachstelle finden, an der der Mensch zerbricht.
    Möglichkeiten gibt es unendlich viele.
    Der Anschaulichkeit halber wählen wir Sie als Beispiel aus.
    Stellen Sie sich vor, Sie befänden sich auf der Insel.
    Ich biete Ihnen grenzenlose Macht. Die Bedingungen, die Sie sonst stören, sind außer Kraft gesetzt. Niemand entzieht sich Ihren Wünschen, niemand hindert Sie an der Umsetzung Ihrer Fantasien.
    Was würden Sie tun, wenn man Sie ließe?
    Widmen Sie sich ruhig für eine Weile Ihren Träumen...
    Und? Sagen Sie mir die Wahrheit!
    War ein einziger Ihrer Träume tugendhaft?

    -277-

    Auf dem Friedhof

    Die Insel gleicht einem Kerker ohne Mauern, fand Lucretia, und das Leben war ebenso eintönig und karg. Tagein, tagaus gab es nichts zu tun, als das stets gleiche Bild zu betrachten: das Kommen und Gehen der Wellen, die sich am Ufer brachen, die Möwen, die flatternd und kreischend den Strand bewachten oder aber reglos im flachen Wasser standen und den Kopf horchend zur Seite neigten.
    Pfarrer Bastians trat gelegentlich in Erscheinung, um dem Herrn arme Seelen zuzuführen. Er hielt die Menschen zur Demut an, zu Entsagung und Reue. Auf diese Weise würden sie sich ihren Lohn für das jenseitige Leben verdienen, wiewohl er sich denselben bereits im Diesseits gewährte.
    Die Gespräche der Gefangenen kreisten dagegen um das nackte Überleben, waren auf niedere Belange zusammengeschrumpft, auf die Sorge um Nahrung und Wasser, auf die Suche nach Schutz und die Angst vor dem Tod.
    Lucretia spann ihre Gedanken weiter. Genau wie unter Kerkerinsassen waren auch hier seltsame Verbindungen entstanden. Überraschende Bruderschaften wurden geschlossen, wie die zwischen Zeevanck und dem Steinmetz, zwischen den Jonkers und einigen der gemeinen Soldaten. Ebenso ließen sich neue Abhängigkeiten entdecken, allen voran die zwischen Jeronimus und einer Hand "voll abstoßender Gesellen, die jeden seiner Befehle ausführten.
    Bisweilen schweiften Lucretias Gedanken jedoch auch in die Ferne und richteten sich auf Francois. In solchen Momenten versuchte sie zu ergründen, was ihn bewegen hatte, die Menschen, die eigentlich seiner Obhut unterstanden, zu verlassen. Ob er sich

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