Zorn der Meere
Pfarrer Bastians.
»Pieter Janz wird einen Teil auf die Verräterinsel rudern.
Einen weiteren Teil verlegen wir auf die Insel, auf der die Robben wohnen.«
Der Pfarrer nickte. »Für mich hört sich das äußerst vernünftig an.« Er belohnte Jeronimus mit einem schmeichlerischen Lächeln. »Ich stimme dem Plan zu.«
Jeronimus erwiderte sein Lächeln. Du dummer, törichter Esel, du wirst dich noch wundern, dachte er. Er musterte die Gesichter der anderen.
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Lediglich Pieter Janz schien noch unschlüssig zu sein.
»Überdies ist mir zu Ohren gekommen«, begann Jeronimus abermals, »dass es vor meiner Ankunft zu Handgreiflichkeiten kam. Ich wünsche nicht, dass sich derlei wiederholt. Ihr vermochtet wohl damals nicht für Ruhe zu sorgen, Janz - oder wie war das?«
Janz blickte betreten zu Boden und schwieg.
»Ganz richtig«, pflichtete Pfarrer Bastians Jeronimus bei. »Es war schändlich. Der Herr musste sein Haupt verhüllen.«
Jeronimus nickte ihm anerkennend zu. »Deshalb werden wir noch ein Weiteres tun«, erklärte er sanft. »Wir werden alle Waffen einsammeln und sie sicherstellen. Auf diese Weise schließen wir jede weitere Schändlichkeit aus.«
Pieter Janz zog hörbar den Atem ein, doch er wagte es nicht, sich dem Unterkaufmann zu widersetzen.
»Nimmt der Rat meinen Vorschlag an?«, fragte Jeronimus.
Pfarrer Bastians reckte seine Hand in die Höhe. Schließlich folgte Deschamps seinem Beispiel, und wenig später schloss sich Pieter Janz ebenfalls an.
»Ausgezeichnet«, lobte Jeronimus. »Dann werden wir unsere Beschlüsse umgehend in die Tat umsetzen.« Er lachte belustigt auf, ehe er ein wenig unvermittelt hinzufügte: »Was glaubt ihr, was für Augen der Kommandeur machen wird, wenn er uns bei seiner Rückkehr so gesund und rüstig antrifft.« Danach stieß er Pfarrer Bastians aufgeräumt in die Seite und forderte ihn auf, die Versammlung mit einem schönen Gebet abzuschließen.
Als ihr Vater das Zelt betrat, erkannte Judith sofort, dass er sich bester Laune erfreute. »Nun wird alles gut«, verkündete er in die Runde. »Der Herr ist uns wohlgesinnt. Er hat uns den Unterkaufmann als Boten gesandt. Er richtet die Dinge nach seinem Willen.«
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Vierzehn Grad und zehn Minuten südlicher Breite dreiundzwanzigster Tag des Juni im Jahre des Herrn, 1629
Ob ich auch so elend aussehe wie sie? überlegte Francois, während sein Blick über die anderen wanderte. Wie die Opfer einer Schlacht lagen die Männer da, mit verfilztem, abstehendem Haar, leeren, geröteten Augen und aufgeplatzten Wunden dort, wo sic h das Salzwasser in ihre Haut gefressen hatte. Etliche hatte Fieber und fantasierten vor sich hin.
Inzwischen hatte Francois begriffen, wie groß die Versuchung war, Meerwasser zu trinken. Bereits seit einer geraumen Weile schimmerten statt des Meeres bauchige Karaffen mit frischem Wasser vor seinen Augen, und bisweilen ertappte er sich dabei, dass seine ausgestreckten Hände danach griffen. Dann wieder veränderte sich das Meer, nahm die Gestalt eines Bergsees an, so rein und klar, dass alles in Francois danach schrie, sich über Bord zu beugen, um von diesem köstlichen Nass zu schlürfen.
Er musste seine ganze Willenskraft aufbieten, um das schöne Trugbild und den Abgrund der Wirklichkeit auseinander zu halten.
Ich muss diesen Kampf gewinnen, beschwor sich Francois.
Wenn ich nachgebe, bin ich verloren. Er hatte festgestellt, dass es ihn stärkte, wenn er sich seiner Würde entsann. Zu diesem Zweck behielt er seinen Kommandeurshut auf und strich sich gelegentlich über sein Hemd und dessen Spitzenbesatz, wenngleich der längst grau und steif geworden war.
Jan Everts erwachte und blinzelte. »Wo sind wir, Skipper?«, murmelte er.
Jacobs stand an der Ruderpinne. Im fahlen Morgenlicht hoben sich seine kantigen Gesichtszüge scharf ab. Er schien weder Hunger noch Durst zu kennen. »Bald ist Land in Sicht«, knurrte er.
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»Das habt Ihr gestern auch schon gesagt«, murrte eine Stimme. »Und vorgestern auch.«
Dem Kapitän schoss das Blut in den Kopf.
»Das Große Südland liegt bereits seit einer Woche hinter uns«, ließ sich eine weitere Stimme vernehmen.
»Jacobs tut nur so, als wisse er, wo's lang geht«, spottete Halfwaack. »Doch in Wahrheit leitet ihn sein Schwengel.«
»Halt die Klappe«, grunzte der Kapitän.
»Wenn du die Hure da hinten nicht so fleißig besprungen hättest«, fuhr Halfwaack unbeirrt fort, indem er in Richtung der schlafenden Zwaantie nickte,
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