Zorn der Meere
die ersten fünf Jahre. Vergesst die Palmen und die willigen, glutäugigen
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Frauen! Batavia ist eine Todesgrube, ein Loch - eine Brutstätte für die Ruhr und das Schüttelfieber.«
Auf dem Gesicht seines Gegenübers malte sich Verblüffung ab. »Weshalb zieht es Euch denn dann dorthin?«, fragte er.
»Eine interessante Überlegung, nicht wahr? Nun, ich nehme an, auch mir ist der Aufstieg das Risiko wert.«Van Huyssen schwieg.
Tja, so ist das leider nun einmal, triumphierte Jeronimus.
Niemand verrät diesen albernen Stutzern, wie Batavia in Wirklichkeit ist, denn sonst würden sie den Teufel tun und sich an Bord eines Handelsschiffes begeben.
»Ihr gehört zu einer stolzen und geachteten Familie«, hub Jeronimus abermals an. »Zuweilen tut es mir weh, mit anzusehen, dass man Euch kommandiert und dass Ihr gehorchen müsst. Fühlt Ihr Euch denn im Grunde nicht zu Besserem berufen?«
»Und was wäre das Eurer Meinung nach?« Van Huyssen hatte sich gefasst. Sein Blick war abermals abweisend geworden.
»Oh, ich glaube, Ihr habt mich ganz gut verstanden«, erwiderte Jeronimus, ehe er verschwand.
Die Saat ist gesät, dachte er auf dem Weg in seine Kajüte, nun werde ich sie für eine Weile ruhen lassen und zusehen, wie sie gedeiht.
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III
Folgendes bitte ich Sie zu bedenken:
Genau wie jeder andere Gott bedarf auch der Gott der Christen eines Regelwerkes, nach dem die Gläubigen ihr Leben richten.
Ich nehme an, in diesem Punkt geben Sie mir Recht.
Und je strenger die Vorschriften in diesem Regelwerk sind, desto eingeschränkter sind die Möglichkeiten der individuellen Entscheidung. Das sehen Sie auch ein, nicht wahr?
Die Calvinisten gingen aber noch einen Schritt weiter, denn sie klammerten die menschliche Entscheidung rundweg aus. Ihr Leben war zwar ein Schachspiel, doch dessen Züge und der Ausgang standen dabei angeblich bereits fest.
Es ist demnach kein Wunder, dass Jeronimus aufbegehrt, wenn der Herr Pfarrer seine Lehren verbreitet, denn er will das Spiel ja nach seinem Ermessen lenken. Seiner Meinung nach steht der Herr hinter ihm, anstatt über ihm zu regieren. Das ist ein kleiner Unterschied.
Gewundert hat mich eigentlich, dass Lucretia Pfarrer Bastians nicht widersprach. Sie ist doch sonst nicht schüchtern und kennt durchaus andere Meinungen, wo doch ihre spanische Mutter Katholikin war! Ich erkläre mir das damit, dass sie zu abgelenkt, zu sehr mit sich und Francois beschäftigt war.
Bei Francois liegt die Sache ähnlich, doch das ist es nicht allein. Er kann sich bereits aus Gründen seiner Karriere der herrschenden Meinung nicht widersetzen, wenngleich auch er mütterlicherseits einer katholischen Familie entstammt.
Ich finde Katholiken reizvoller als Calvinisten, denn sie haben zumindest begriffen, dass es der Mensch ist, der sein Leben bestimmt. Sie glauben zwar, dass der Papst im Ernstfall bei Gott
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interveniert, doch dergleichen stört mich nicht. Diesen Gedanken finde ich liebenswert, nahezu rührend.
Doch wenden wir uns leichteren Themen zu. Immerhin befinden wir uns auf einer Reise und möchten unterhalten sein.
Folgen Sie mir deshalb auf das Quarterdeck. Lassen Sie sich die warmen Lüfte um die Nase streichen. Hören Sie das Knarzen der Segeltaue? Fühlen Sie, wie die Batavia sich sanft unter Ihnen wiegt?
Sehen Sie die beiden Gestalten, die an der Reling lehnen?
Ganz recht - das sind Lucretia und der Kommandeur. Sie plaudern gerade unschuldig, wenngleich ihre Gedanken längst bei ihrer verbotenen Zuneigung angelangt sind.
Sechs Grad und siebenundvierzig Minuten südlicher Breite
vierundzwanzigster Tag des Januar im Jahre des Herrn, 1629
Lucretia hatte es sich angewöhnt, Francois morgens auf dem Quarterdeck zu besuchen. Meistens standen sie dann beieinander und begannen ein Gespräch, wobei es allerdings geschehen konnte, dass einer von ihnen plötzlich verstummte und den Faden verlor.
Francois wusste, dass er Lucretia hätte aus dem Weg gehen müssen. Er hatte sich auch bereits hundert Mal geschworen, dies zu tun. An seinen Schwur gehalten hatte er sic h indes nicht.
Als er an diesem Morgen Lucretias leichten Schritt vernahm, spürte Francois, dass sein Herz zuckte und danach zu hämmern begann. Er zwang sich, sich langsam umzudrehen, anstatt wie ein Wilder herumzufahren, und verneigte sich förmlich.
An diesem Morgen trug Lucretia ein goldgelbes Samtkleid mit hochgeschlossenem Mieder, das sich weich um ihre Brüste schmiegte.
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Sie lächelte
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