Zorn der Meere
Euch nicht zu benehmen, wenn Euch ein Herr und eine Dame begegnen? Steht gefälligst auf! Macht einen Bückling!«
Pfarrer Bastians kam eilig auf die Füße und verbeugte sich tief.
»Wie siehst du denn aus?«, murmelte Judith, indem sie ihren Blick über seinen verschlissenen Rock gleiten ließ.
Pfarrer Bastians blinzelte unsicher.
Er kennt keinen Mittelweg, stellte Judith fest, sondern nur Extreme. Ent weder er bläst sich auf, tadelt und befiehlt, oder aber er kriecht und zeigt sich erbötig.
Judith strich sich über ihr seidenes Gewand, dessen Stoff aus den Frachttruhen stammte. »Du hast mir einen guten Mann verschafft, Vater«, bemerkte sie spöttisch. »Eine glänzende Partie. Warum bist du nicht glücklich? Warum schaust du so furchtsam drein?«
Pfarrer Bastians zwang sich zu einem unterwürfigen Lächeln.
Sein Blick huschte über Conrads Miene. Wie ein Hund, der sich der Laune seines Herrn zu vergewissern sucht, dachte Judith.
»Ich bin nun eine feine Dame«, fuhr sie fort. »Du kannst stolz auf deine Tochter sein.«
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»Könntest... könntest du sie nicht bitten, mir etwas... zu essen zu geben?«, flüsterte Pfarrer Bastians.
»Aber wozu denn?«, schaltete sich Conrad spöttisch ein. »Ich finde, Ihr seid noch immer recht stattlich.«
»Ich lebe von Gras«, beschwerte sich Pfarrer Bastians. »Ich habe Hunger.«
»Das ist nur, weil Ihr nicht zu fischen versteht«, erwiderte Conrad. »Ihr lest Eure Bibel nicht sorgfältig genug. Wenn mich nicht alles täuscht, ist darin von Leuten die Rede, die es schaffen, ganze Hochzeitsgesellschaften zu ernähren.«
Allert Janz und Mattys Beer gesellten sich zu ihnen.
»Macht der Alte Scherereien?«, erkundigte sich Janz bei Conrad. »Wollt Ihr, dass wir ihn bestrafen?«
»Wir könnten ihn ersäufen«, schlug Mattys Beer vor. »Wartet einen Augenblick, ich besorge mir rasch einen Strick.«
Pfarrer Bastians' Knie begannen zu zittern. »Judith« flehte er leise. »Judith, mein Kind -«
Judith machte eine unwirsche Geste. »Sie sollen ihn in Frieden lassen«, sagte sie, an Conrad gewandt. »Ihr könntet ihn immerhin noch als Diener gebrauchen.«
»Meinetwegen«, seufzte Conrad.
»Er taugt nicht zu harter Arbeit«, wandte Janz ein.
»Außerdem ist er träge.«
»Wir geben ihm noch einen Tag«, schlug Conrad vor. »Er soll die Gelegenheit nutzen, um sich zu bewähren.«
»In Ordnung«, stimmte Allert Janz ihm grinsend zu.
Sie hatten ein wenig Schabernack getrieben. Niemand außer Jeronimus entschied, wer umgebracht wurde, und sie wussten, dass der Generalkapitän Judiths Vater noch für eine Weile leben lassen wollte.
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»Komm, meine Liebe«, forderte Conrad Judith auf und reichte ihr den Arm. »Ich mag meine Zeit nicht bei Bettlern vertun.«
Judith lächelte verständnisvoll, ehe sie an seiner Seite weiter am Strand entlang spazierte.
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XXV
Ich bin noch immer ein wenig erregt. Das ist vielleicht nicht der beste Gemütszustand, um über den frommen Glauben der Menschen nachzudenken, doch sei's drum, ich werde es tun.
Der christliche Glaube bietet dem Menschen Trost und hilft ihm, sich mit den Gegebenheiten abzufinden.
Dazu muss man allerdings den Gedanken der Gleichheit bemühen. Und so wird es gemacht: Sie schauen sich diesen Reichen und jenen Mächtigen und Schönen an und Sie werden neidisch. Doch ehe Sie nun zu stehlen, aufzubegehren und zu hassen beginnen, werden Sie mild und besonnen. Vor Gott, so erinnern Sie sich, sind wir alle gleich.
Vielleicht spielen Sie bei Gelegenheit einmal durch, ob dieses Verfahren auch in die andere Richtung gelingt. Sie nehmen sich den Dummen, den Langweiligen, den Ekligen. Puh! Tja, tut mir Leid, aber Gott sieht keinen Unterschied zwischen denen und Ihnen.
Ich gebe zu, das war ein wenig ungerecht, denn der Glaube ist nie ein Forschungsergebnis und entzieht sich infolgedessen der Analyse.
Mir kann es im Grunde auch einerlei sein, welchen Wirrwarr die Menschen sich zusammenreimen, um ihn hernach zu glauben. Oder ob sie gar nichts mehr denken und glauben, weil sie hoffen, dadurch am Leben zu bleiben.
Auf dem Friedhof
»Kommt, Lucretia«, bat Jeronimus, indem er einladend auf sein Lager klopfte. »Setzt Euch zu mir.«
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Er schenkte sich einen Becher Wein ein und hob fragend die Karaffe.
Als er Lucretias verschlossene Miene gewahrte, umwölkte sich sein Blick.
»Euer Verdruss wird ermüdend«, erklärte er. »Habt Ihr nicht alles, was Ihr wollt?«
»Und was war mit Andries?«, fuhr
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