Zorn der Meere
Lucretia ihn an. »Glaubt Ihr, ich war blind?«
Jeronimus schleuderte seinen Weinbecher in die Ecke. Sein Gesicht wurde dunkelrot. »Ich habe Euch meine Gründe erklärt.
Der Junge war ein Mörder.«
»Auf Euer Geheiß.«
Jeronimus erhob sich. »Auf mein Geheiß?«, fragte er. Er trat an den Zelteingang und schaute gedankenverloren nach draußen.
Dann wandte er sich um. »Glaubt Ihr das wirklich?«
»Ich weiß es.«
»Ihr wollt nicht begreifen«, murmelte Jeronimus. »Ich versuche, die Ordnung aufrecht zu erhalten, und das ist keineswegs so einfach, wie es Euch vielleicht erscheint.«
»Gewiss nicht, aber -«
Jeronimus gebot ihr mit einer Geste zu schweigen. »Einige der Männer sind unberechenbar geworden«, fuhr er fort. »Ist Euch noch nicht aufgefallen, dass beispielsweise Zeevanck sich gänzlich verändert hat?«
»Er tut, was Ihr verlangt. Wie alle.«
»Und?«, fragte Jeronimus. »Ist das so schlecht? Dass Ihr von den Männern verschont geblieben seid, habt Ihr mir zu verdanken. Das habe ich ebenfalls verlangt. Möchtet Ihr Euch auch darüber beklagen?«
Jeronimus' Stimme wurde sanft. »Kommt zu mir«, bat er Lucretia erneut. »Das Leben ist zu kurz, um es unglücklich zu verbringen.«
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Lucretia rührte sich nicht von der Stelle.
»Habt Ihr jemals gesehen, dass ich jemanden tötete?«, begann Jeronimus noch einmal.
»Dafür seid Ihr zu gerissen.«
»Es tut mir Leid, dass Ihr das so seht. Bedauerlicherweise kann ich vielem, was hier geschieht, keinen Einhalt gebieten.«
»Ihr versucht es ja nicht einmal.«
Jeronimus streckte sich auf seinem Bett aus. »Ich müsste eigentlich beleidigt sein«, bemerkte er. »Ihr scheint mich für einen wahren Teufel zu halten.«
Lucretia zog es vor zu schweigen.
Jeronimus rückte zur Seite. »Ich bin bereit, Euch zu verzeihen«, erklärte er. »Kommt, legt Euch neben mich.«
»Vergesst Ihr, dass ich verheiratet bin?«
»Ich betrachte die Ehe als Versklavung, meine Liebe. Warum soll eine Frau nur einem Mann gehören, wenn so viele sie begehren und diese Begierde eine Gabe Gottes ist?«
»Dennoch möchtet Ihr nicht, dass andere mich besitzen«, entgegnete Lucretia.
»Eine Frau, die klug ist und schön! Welch reizvolle Kombination!« Jeronimus stützte sich auf dem Ellbogen auf.
»Ich weiß, dass Frauen mächtige Männer lieben, und ich bin auf dieser Insel der mächtigste Mann. Warum ziert Ihr Euch also?
Wir vertun lediglich unsere Zeit.«
»Das klingt ja, als ob Ihr Spanien besäßet.« Lucretia lachte spöttisch auf. Dann wurde sie jedoch wieder ernst. »Mir ist an Eurem Werben nicht ge legen«, beschied sie Jeronimus.
»Vielleicht findet Ihr eine andere, die Eurer Macht erliegt.«
Jeronimus legte sich zurück und verschränkte die Arme unter dem Kopf. »Lucretia, Lucretia«, murmelte er bekümmert.
»Womit habe ich das verdient?«
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»Ihr seid ein Dieb und ein Mörder. Es fällt mir schwer, Euch dafür zu lieben.«
Jeronimus machte eine abweisende Handbewegung. »Ich mag es nicht, wenn Ihr unausstehlich seid«, erklärte er. »Der Tag wird kommen, an dem Ihr mein wahres Wesen erkennt. Es wird nicht mehr lang dauern, bis es so weit ist - und ich kann warten.
Gehabt Euch derweil wohl, schöne Frau.«
Am anderen Morgen befahlen Allert Janz und Mattys Beer Pfarrer Bastians, sie auf ihrem Floß zu schieben, weil sie angeln wollten.
Judith sah, wie ihr Vater seinen zerschlissenen Rock ablegte und ins Wasser watete. Als er sich bückte, um nach dem Floß zu greifen, stieß Allert Janz ihm sein Ruder in die Brust.
Pfarrer Bastians taumelte und stürzte in die Fluten. Er beeilte sich jedoch, wieder auf die Beine zu kommen, und streckte hustend und keuchend die Arme aus, um an das Floß zu gelangen.
Allert und Mattys ruderten ein Stück fort.
Die Jonkers, die mit Judith am Ufer standen und das Schauspiel beobachteten, lachten.
»Er ist zu nichts nutze«, stellte van Os fest. »Warum ersäufen wir ihn nicht?«
»Das wäre zu schade«, schaltete sich ein anderer ein. »Wir überlassen ihn lieber Pelgrom. Der braucht Übung mit dem Schwert.«
Conrad wandte sich zu Judith um. »Was meinst du? Du darfst entscheiden.«
Judith warf einen Blick auf ihren Vater, der mit gesenktem Kopf dastand und auf ihr Urteil wartete, während das Wasser in Rinnsalen von ihm troff. Zum Glück hast du mich mit dem Teufel vermählt, dachte sie. Von ihm rührt nun die Gnade. Ich hoffe, du erzählst das deinem Gott.
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»Er soll uns einen Fisch für das
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