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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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zurück und küsste ihre Kehle. Zwaantie gluckste innerlich, als sie sich die hervorquellenden Augen von Jan Everts vorstellte, der ihnen gegenübersaß. Sie würde dem Skipper alles erlauben, ging es ihr durch den Kopf. Nun erst recht.
    Zwaantie hörte, dass Jan Everts vor sich hin brummte:
    »Deswegen wird es Ärger geben, Kapitän.«
    Zwaantie achtete nicht auf ihn. Sie merkte, dass der Skipper nun schwer an ihrer Brust lehnte, und tat ihr Bestes, um ihn wach zuhalten, zumindest bis sie an der Heckgalerie angelangt waren.

    -86-

    VI

    Man sagt, der Mensch vergäße sich im Trunk. Ich glaube hingegen, dass er sich erst dann auf sein wahres Ich besinnt.
    Der Zorn, die Begierden, die Meinungen, die in diesem Zustand an die Oberfläche steigen, das sind die echten Spiegelbilder seines Wesens.
    Später kommt dann die Reue. Verständlich. Denn nun hat der Mensch sich allen offenbart. Dann muss der Alkohol als Schuldiger dienen. Der hat sein Opfer zum Ungeheuer gemacht.
    Das ist natürlich angenehmer, als sich einzugestehen, dass man selbst das Ungeheuer ist.
    Gewöhnlich schläft dieses Ungeheuer. Doch wehe, es schlägt die Augen auf und wird wach!
    Die Geschichte des Menschen ist keine Geschichte, in der das Gute über das Böse siegt, sondern es ist die der unterdrückten Begierden.
    Sehen Sie sich nur die Reisenden auf der Batavia an!
    Ich könnte ihnen allen ihr inneres Wesen offenbaren, aber sie sträuben sich ja dagegen, mir zuzuhören.
    Sie finden, ich sollte mir größere Mühe geben?
    Ich will tun, was ich kann. Wir werden sehen, ob es mir gelingt.

    Tafelbucht, Kap der Guten Hoffnung
    siebzehnter Tag des April im Jahre des Herrn, 1629

    Grundgütiger Himmel, dachte Jeronimus, der Kapitän sieht schrecklich aus! Schneeweiß im Gesicht und grünlich angelaufen, wie Fleisch, das in der Sonne verdirbt. Aus seinen
    -87-

    Poren dringt der Schnapsgeruch, als hätte er sich mit dem Zeug übergössen. Gib Acht, dass du nicht deine Galle dem Kommandeur auf den teuren Teppich spuckst, riet er Jacobs im Stillen, denn in dem Fall brauchtest du schon gar nicht mehr auf Gnade zu spekulieren.
    Das Aufsichtskomitee des Schiffes hatte sich in der Offiziersmesse versammelt: ein grimmig dreinschauender Pfarrer Bastians, Aris Janz, der Arzt, der Marschall, der Kommandeur natürlich, und als Zeuge der Bootsmann Jan Everts, der wie ein verängstigter Schulbub zu Boden blickte und darauf wartete, dass er aufgerufen wurde.
    Der Kommandeur schäumte vor Wut. Typisch, dachte Jeronimus, nichts empört einen Scheinheiligen mehr als der Frevel eines anderen.
    Jeronimus beobachtete amüsiert, wie die feingliedrigen Finger des Kommandeurs auf den Stützen seines Sessels ungeduldig Trommelwirbel schlugen. Das dürfte für ihn nicht einfach sein, sagte er sich, zwischen den eigenen Gewissensbissen und dem Durst nach Rache zu entscheiden. Er hatte inzwischen ja vermutlich erfahren, was der Skipper hinter seinem Rücken über ihn und die vornehme Frau van der Mylen erzählt hatte. Nun, es würde zumindest interessant und lehrreich sein, hier zu sitzen und den Ablauf des Geschehens zu verfolgen.
    »Also«, begann Pelsaert mit schneidender Stimme, »was habt Ihr zu Eurer Verteidigung vorzutragen?«
    Auf dem Gesicht des Skippers glänzte kalter Schweiß.
    Ein Kater enormen Ausmaßes, stellte Jeronimus fest. Pech, sich in diesem Zustand vor Meister Unerbittlich rechtfertigen zu müssen.
    »Kommt nicht wieder vor«, brummte der Kapitän undeutlich vor sich hin, hob den Blick zu einem der Fenster und blinzelte ins Licht.
    Daraufhin entstand ein längeres Schweigen.
    -88-

    »Ist das alles?«, erkundigte sich der Kommandeur schließlich.
    Er beugte sich vor und nahm zwei Bogen Papier auf, die auf dem Tisch vor ihm lagen.
    »Dann darf ich Euch vielleicht ein wenig auf die Sprünge helfen«, fuhr er fort. »Heute Morgen besuchte mich noch im ersten Tagesgrauen Herr van Dommelen, der Kommandeur der Zandaam. Er erzählte mir, Ihr wäret gestern Nacht bei ihm an Bord gewesen, deutlich angetrunken, und hättet Euch vor aller Augen der Fleischeslust mit einer - einer jungen Frau hingegeben. Herr van Dommelen hatte sich kaum verabschiedet, als der Kommandeur der Buren meine Kajüte betrat, um mir zu berichten, dass Ihr in selbiger Nacht auch ihn samt nämlicher junger Frau mit Eurem Kommen beehrtet. Später habt Ihr einen Kampf angezettelt und dabei einen seiner Männer schwer verletzt. Danach wolltet Ihr zu einer Messerstecherei übergehen, die der Kapitän

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