Zorn der Meere
hatte
-91-
den Aufstand geprobt und verloren - mehr war es im Grunde nicht.
Dennoch wusste Francois, dass die Erinnerung an diesen Zwischenfall ihn wie ein Schatten verfolgen würde. Er verspürte ein Unwohlsein, ein Ziehen im Magen, ein Prickeln auf der Haut, während er sich die langen Tage und Nächte auf dem Meer ausmalte, die bis Batavia noch vor ihnen lagen.
Jacobs hatte sich auf dem Quarterdeck über die Reling gebeugt und übergab sich ins Meer. Als er Schritte hinter sich vernahm, drehte er sich um und wischte sich mit seinem Hemdsärmel über den Mund. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, als er Jeronimus erblickte - einer von jenen Feiglingen, die stumm dabeigesessen hatten, als Pelsaert ihn peinigte.
»Was sucht Ihr hier?«, fragte er.
»Ich wollte nur nachsehen, wie es Euch geht.«
Jacobs schwieg verdrossen.
»Der Kommandeur hat Euch ungerecht behandelt«, fuhr Jeronimus fort. »Ihr seid dabei ein wenig blass um die Nase geworden, hatte ich den Eindruck.«
»Das lag am Schnaps.«
Jeronimus lächelte. Du Tölpel, dachte er, du dummer, einfältiger Bock, du verstehst doch wirklich nichts außer deiner Seefahrt. Du merkst höchstens noch auf, wenn es dich zwischen den Beinen juckt. Glotz mich ruhig an, als wolltest du mich zerfetzen. Es wird nicht mehr lang dauern, bis du einsiehst, wie sehr du mich brauchst.
»Was glaubt er eigentlich, wer er ist?«, murmelte der Skipper vor sich hin. »Er kann von Glück sagen, dass die Buren längsseits liegt. Ich könnte dafür sorgen, dass er für Tage nicht mehr aus seiner Kajüte kriecht. Ich könnte ihn fertig machen -
bis Schluss ist.«
-92-
Großartig, dachte Jeronimus, verkünde deine Meinung ruhig jedem, der sie hören will.
»Habt Ihr das schon einmal getan?«, fragte er interessiert. Der Skipper ist noch dümmer, als ich dachte, ging ihm unterdessen durch den Kopf. Er kennt mich kaum und steht doch kurz davor, mir seine größten Geheimnisse zu offenbaren. Vermutlich hat ihm der Schnaps sein Hirn zersetzt.
Der Kapitän war jedoch einsilbig geworden. »Tut nichts zur Sache«, brummte er.
»Eines Tages antwortet Ihr mir vielleicht«, bemerkte Jeronimus.
Als Antwort spuckte der Skipper in die Wellen und wandte sich ab.
Meinetwegen, dachte Jeronimus. Gottes Mühlen mahlen langsam.
Vierunddreißig Grad und achtundfünfzig Minuten südlicher Breite
zweiundzwanzigster Tag des April im Jahre des Herrn, 1629
Nach einer einwöchigen Pause, in der die Flotte sich mit frischern Proviant versorgte, verließ die Batavia die Tafelbucht und stach zum letzten Teil ihrer Reise in See.
Nach der Umrundung des Kaps würde sie sich mit den Passatwinden im Rücken über fünftausend Seemeilen hinweg in Richtung Osten halten. Sobald sie das Große Südland erreichte, würde sie sich nach Norden drehen. Danach wäre Java nicht mehr weit.
Kurz bevor die Batavia Holland verlassen hatte, war eine Warnung des Gouverneurs von Java eingegangen, die besagte, dass die bisherigen Messungen der Strecke ungenau seien, dass
-93-
womöglich gar ein Unterschied von neunhundert Seemeilen bestand.
Das hatte jedoch niemanden besonders angefochten. Sowohl die Mannschaft als auch die Passagiere vertrauten den Kenntnissen des Kapitäns. Jacobs war immerhin der erfahrenste Skipper der Companie. Deshalb hat der Kommandeur ihm schließlich auch sein skandalöses Be nehmen in der Tafelbucht nachgesehen, dachten sie. Nicht mehr als einen Tadel und einen Brummschädel hatte es ihm eingetragen, und das musste doch einwandfrei heißen, dass er etwas Besonderes war. Andere wären dafür in den Kerker gewandert.
Infolgedessen war die Stimmung an Bord frohgemut, als das Schiff aus der Tafelbucht glitt. Noch zwei Monate galt es durchzuhalten, doch im Grunde war das Ende der Reise fast schon in Sicht.
Es war das erste Mal, dass Francois und Lucretia sich seit dem Aufbruch aus der Tafelbucht allein an Deck befanden.
Vor ihnen glitzerte die endlose Fläche des Meeres in der Sonne. Das Schiff durchschnitt zügig die Wellen, die hellen Segel waren voll aufgebläht - doch plötzlich erfasste Francois ein jähes, ungeahntes Gefühl der Traurigkeit.
Was ist das nur, das mich so heftig bewegt? fragte er sich, während er diese unendlich liebliche Frau an seiner Seite betrachtete. Welchen Anlass habe ich, mit einem Mal derart unglücklich zu sein?
Gleich darauf wurde ihm bewusst, dass es bereits der Verlust war, der ihn quälte. Seltsam, dachte er, wie kann man den Verlust von etwas
Weitere Kostenlose Bücher