Zorn der Meere
glücklicherweise zu verhindern wusste. Zuvor hattet Ihr jedoch die Zeit genutzt, um vor mehreren Zeugen Ungeheuerlichkeiten über mich zu verbreiten.«
»Ich war betrunken«, erklärte der Kapitän mit versteinerter Miene. »Worte, die man im Rausch äußert, gelten nicht.«
»Ihr seid der Kapitän der Batavia, mein Herr, nicht irgendein hergelaufener Matrose, auf dessen Wort kein Mensch etwas gibt.«
Der Kapitän erwiderte nichts. Auf seinen Wangen breiteten sich jedoch rote Flecke aus.
Lange hält er das nicht mehr durch, dachte Jeronimus. Sein Stolz wird es nicht zulassen, dass er vor aller Augen und Ohren abgekanzelt wird.
»Ich fürchte, das ist ein Fall für den Rat der ganzen Flotte«, fuhr der Kommandeur ungerührt fort.
Die Kinnmuskeln des Kapitäns begannen zu mahlen. Er wusste, was das bedeuten konnte. Der Rat der Flotte setzte sich aus hohen Offizieren zusammen und tagte nur bei schwersten
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Disziplin verstoßen. Die Beschlüsse, die er fasste, waren unwiderruflich. Sollte der Kommandeur den Rat um eine Entscheidung ersuchen, konnte es sein, dass der Kapitän den letzten Teil der Reise als Gefangener im Bauch des Schiffes mitfuhr. Die Entbehrungen würden ihm dabei zwar wenig zu schaffen machen, die Demütigung brächte ihn indes um den Verstand.
Jeronimus erkannte den Anflug von Angst im Blick des Kapitäns.
Jacobs nahm einen Anlauf, um das Wort zu ergreifen. »Denkt an die Zeit, für die Ihr mich noch braucht«, hielt er Pelsaert vor Augen.
Da schau einer an, wunderte sich Jeronimus, der Skipper kriecht zu Kreuze. »War doch nur Spaß«, hörte er den Kapitän danach brummen. »Wird nicht wieder vorkommen.«
Der Sünder bittet um Vergebung, dachte Jeronimus. Sofern der Kommandeur Verstand hat, lässt er die Sache nun auf sich beruhen. Offenbar war dessen Verstand jedoch durch den Hass getrübt, den er für den Skipper empfand, so dass er der Versuchung, den anderen noch einmal zu ducken, nicht widerstehen konnte.
»Ich werde bis Batavia warten«, verkündete der Kommandeur. »Dort wird der Rat der Gesellschaft entscheiden, ob Ihr Euer Patent behaltet oder nicht. Sollte Euer Verhalten bis dahin abermals zu wünschen übrig lassen, wird uns der Erste Steuermann weiternavigieren.«
Armer Adriaen, fuhr es Jeronimus durch den Kopf, während er zusah, wie Jacobs die Worte seines Feindes schluckte. Nun weißt du nicht, ob du kuschen oder losbrüllen sollst. Er überlegte, ob der Kommandeur tatsächlich den Mumm besäße, die Angelegenheit weiterzumelden, denn sollte es eine Verhandlung geben, müsste wohl notgedrungen auch seine Beziehung zu Frau van der Mylen zur Sprache kommen.
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»Ich bitte Euch offiziell um Entschuldigung«, murmelte der Skipper. »Es lag nicht in meiner Absicht, Euch zu kränken.«
»Schlaft Euren Rausch in Eurer Kajüte aus«, befahl Pelsaert kalt. »Ich will Euch erst wieder sehen, wenn wir die Segel setzen.« Er winkte den Kapitän mit einer knappen Handbewegung fort.
Jacobs erhob sich schwerfällig und stolperte aus dem Raum.
Es verstrichen zähe Minuten des Schweigens.
Wer hätte das gedacht? sinnierte Jeronimus. Der kleine Hanswurst, wie der Skipper ihn nennt, kann durchaus seine Zähne zeigen.
Jeronimus ließ seinen Blick zu einem der Fenster gleiten und schaute zu, wie sich über dem Tafelberg Wolken auftürmten.
Nun habt Ihr es vollbracht, Herr Kommandeur, dachte er. Ihr habt ihn in die Schranken gewiesen, habt ihn erniedrigt, habt endlich das getan, was Ihr schon lange tun wolltet. Er hat es verdient, darin sind sich alle einig.
Die Frage ist nur, was er tut, nachdem er zu sich gekommen ist und auf Vergeltung sinnt.
Das war keine Meisterleistung, überlegte Francois hinterher.
Der Kapitän ist nichts weiter als ein großspuriger Maulheld, doch nun habe ich ihn zum zweiten Mal verprellt und ihm Nahrung für seinen Hass geliefert. Ich hätte entweder früher schweigen oder kurzen Prozess mit ihm machen und ihn noch auf der Stelle als Skipper ablösen sollen. Wie kam ich nur dazu, ihm mit einer Verhandlung vor dem Rat der Flotte zu drohen?
Spätestens da hätte jeder angenommen, ich könne die Probleme an Bord nicht aus eigener Kraft regeln. Die Geschichte hätte in Batavia sofort die Runde gemacht. Das wäre eine großartige Einführung bei dem Gouverneur gewesen.
Gewiss, versuchte er sich zu trösten, der Skipper hatte die Abreibung verdient. Er brauchte einen Denkzettel, um zu begreifen, wer von ihnen beiden das Sagen hatte. Jacobs
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