Zorn der Meere
tat.
Fünfundvierzig Grad und achtundfünfzig Minuten südlicher Breite
dreizehnter Tag des Mai im Jahre des Herrn, 1629
Als Lucretia am nächsten Morgen die Kommandeurskajüte betrat, fand sie den Bordarzt in heller Aufregung vor.
»Ein Wunder ist geschehen!«, rief er ihr entgegen. »Das Fieber ist gesunken.«
Lucretia eilte zu Francois und beugte sich über ihn.
»Mein Engel«, flüsterte er, indem er sich ein wenig aufrichtete. »Dir verdanke ich mein Leben.«
»Francois«, wisperte sie zurück. »Ich hatte solche Angst um dich! Ich hatte Angst, du gingest von uns fort.«
»Deine Stimme hat mich jedes Mal wieder zurückgeholt«, sagte er lächelnd.
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Lucretia legte ihre Hand auf seine Stirn. Sie war kühl und trocken.
»Ich habe geträumt, dass du mich berührst«, murmelte er.
»Schsch«, machte Lucretia. Sie spähte über die Schulter nach hinten, wo Aris Janz stand und lauschte.
»Ihr müsst jetzt schnell gesund werden«, bemerkte sie laut.
»Wir haben für Eure Rettung gebetet.«
Francois" ließ sich in die Kissen zurücksinken. »Es war nicht umsonst, nicht wahr?«, fragte er mit geschlossenen Lidern.
Es dauerte indes noch eine ganze Woche, bis Francois sein Lager verlassen konnte, und zuerst schaffte er lediglich die wenigen Schritte bis zu seinem Sessel hinüber. Während dieser Tage verbrachte Lucretia ihre Zeit weiterhin in seiner Kajüte. Entweder las sie ihm vor oder sie unterhielten sich leise. Manchmal verfielen sie jedoch auch in Schweigen und versenkten die Blicke ineinander, allerdings nur, um sie hernach beklommen abzuwenden.
Rings um sie herum kroch derweil das Unheil aus den Ritzen hervor und begann sich zu entfalten.
Als Francois erstmalig wieder an Deck erschien, blinzelte er in die Sonne und holte tief Luft. Er wusste, dass er noch längst nicht genesen war, und als das Schiff sich auf die Seite legte, drehte sich der Himmel vor seinen Augen, ehe er leicht schwankend wieder zum Stillstand kam. Halt suchend stützte Francois sich auf die Brüstung der Reling.
Nachdem er sich gefangen hatte, ließ Francois seine Blicke über das Meer schweifen. Von der restlichen Flotte war weit und breit nichts zu sehen.
Jacobs hatte Francois erklärt, ein Teil der Schiffe sei während des Sturmes zerstreut worden, und der andere Teil habe bei ihrer Geschwindigkeit nicht mithalten können.
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Angesichts der endlosen Leere ringsum beschlich Francois ein nagendes Gefühl der Furcht. Es war zwar nicht grundsätzlich bedenklich, der Flotte vorauszueilen, doch andererseits hatte er dadurch die restliche Fracht aus dem Blickfeld verloren - die Fracht, für die er die Verantwortung trug.
Vor allem sorgte Francois sich um die Buren, die mit ihren drei Batteriedecks voller schwerer Geschütze als Begleitschiff unentbehrlich war.
Francois schaute zur Kapitänsbrücke empor. Dort stand mit unergründlichem Gesicht der Skipper.
Mit einer gebieterischen Geste winkte Francois ihn zu sich herunter.
»Was ist mit den anderen Schiffen?«, fragte er, als der Kapitän sich zu ihm gesellte. »Lasst Ihr sie nun aufholen oder nicht?«
Jacobs zuckte die Achseln. »Die werden wir in den oberen Breitengraden schon von ganz allein wieder treffen.«
»Das klingt nicht gerade überzeugt«, entgegnete Francois.
»Ich weiß, wovon ich rede«, sagte der Skipper.
»Das will ich auch hoffen«, versetzte Francois. »Wenn wir die Flotte verlieren, geht es Euch ebenso an den Kragen wie mir.«
Der Kapitän musterte ihn kalt. »Ihr solltet Euch wieder hinlegen, anstatt über Dinge nachzugrübeln, von denen Ihr nichts versteht.«
Er hat nicht Unrecht, gab Francois bei sich zu. Meine Hände zittern so heftig, dass es für jedermann sichtbar ist. Ich sollte verschwinden, bevor die Seeleute merken, wie unwohl ich noch bin.
Mit einem knappen Kopfnicken verabschiedete er sich vom Kapitän und kehrte in seine Kajüte zurück.
Jacobs schaute der verschwindenden Gestalt finster nach.
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»Erfreulich, dass der Kommandeur wieder auf den Beinen ist, nicht wahr?«, meldete sich neben ihm eine vertraute Stimme zu Wort.
Mit einem Seufzer wandte der Kapitän sich Jeronimus zu.
»Was wollt Ihr nun schon wieder?«, knurrte er.
»Ich dachte, wir könnten uns ein wenig unterhalten. Wisst Ihr, dass der Kommandeur Frau van der Mylen angeblich sein Leben verdankt? Wie ich gehört habe, hat sie rührend für ihn gesorgt.
Demnach wäre er ihr einen ordentlichen Gefallen schuldig, findet Ihr nicht auch?«
»Ihr
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