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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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diejenigen betragen würden, die sich an Lucretia vergingen. Diese primitive, tierhafte Seite ist uns nicht zu eigen und bei anderen ekelt sie uns an.
    -157-

    Wie aber verhalten wir uns gegenüber dem Opfer einer solchen Tat?
    Es gibt doch so hübsche Sinnsprüche, nach denen der Faden ein unstetes Nadelöhr nicht trifft, das Schwert keine schwingende Scheide und so weiter. Sie kennen dergleichen ja auch bis zum Überdruss.
    Diese Sprüche verwandeln also das Opfer in einen heimlichen Komplizen, und weil wir es als solches entlarven, zieht es sich unsere Verachtung zu.
    Dieser Fehlschluss setzt natürlich voraus, dass wir die Begriffe nicht säuberlich trennen und die Wehrlosigkeit des Opfers verkennen.
    Vor solchen Fehlschlüssen sollten wir uns hüten.
    Leider hat sich die Sache mit dem Nadelöhr, dem Faden, dem Schwert und der Scheide nun aber in Francois' Hirn eingeprägt, so dass seine Überlegungen immer wieder um die Frage kreisen, ob Lucretia zuletzt nicht doch ein wenig mitschuldig ist.
    Infolgedessen hat Francois, wie alle anderen auch, begonnen, Lucretia zu meiden.
    Sie und ich, wir wären da anders. Wir würden ihr unser Mitgefühl bezeugen, oder nicht?
    Ich zumindest täte das, und das will immerhin etwas heißen.

    Neunundzwanzig Grad und dreiundzwanzig Minuten südlicher Breite
    dritter Tag des Juni im Jahre des Herrn, 1629

    Der Kommandeur hatte sich zu einer Entscheidung durchgerungen. Jan Everts befand sich in Kerkerhaft, und der Kapitän hatte es zu jedermanns Erstaunen hingenommen.
    -158-

    Mit finsterer Miene bahnte Jacobs sich einen Weg über das Orlopdeck. Er spürte, dass sich die Blicke der Soldaten in seinen Rücken bohrten. Wie in einem Schweinepferch leben sie hier, dachte er verdrießlich, hocken aufeinander und stinken wie die Pest.
    Ganz am Ende des Decks lag die winzige, dunkle Kammer, die als Kerkerzelle diente.
    Der Marschall klimperte viel sagend mit seinem Schlüsselbund.
    »Nun mach schon auf«, fuhr der Skipper ihn an. »Ich will mit Jan sprechen.«
    Nachdem ihm die Tür widerstrebend aufgetan worden war, erblickte der Kapitän Jan, der in den Schein der Lampe blinzelte, mit der der Marschall in die Zelle leuchtete. Dann rutschte er wie ein geprügelter Hund nach vorn und streckte Jacobs anklagend seine gefesselten Hände entgegen. Dort, wo das Eisen die Haut aufgescheuert hatte, bluteten seine Gelenke.
    Jan stank nach dem Kot und dem Urin, in dem er gelegen hatte.
    Jacobs betrachtete ihn halb mitleidig, halb angeekelt.
    »Verzieh dic h!«, befahl er dem Marschall über die Schulter.
    »Der Herr Kommandeur -«
    »Ich sagte, verzieh dich!«
    Der Marschall holte Luft, um etwas einzuwenden, doch als er den Blick des Skippers gewahrte, zuckte er die Achseln und zog sich schleunigst zurück.
    »Ich bleibe aber in der Nähe«, beharrte er trotzig aus dem Hintergrund.
    Jan hatte zu schluchzen begonnen. »Holt mich... hier raus, Skipper!«, stieß er unter abgehackten Atemstößen hervor. »Ich will hier... nicht verrecken.«
    Jacobs hockte sich vor ihm nieder. »Das kann ich nicht«, murmelte er. »Du steckst zu tief mit drin.«
    -159-

    Er betrachtete die gekrümmte Gestalt. Der schafft es wohl nicht mehr bis Java, fuhr es ihm durch den Sinn. Als junger Steuermann hatte er einmal miterlebt, wie ein Mann für einen Monat in einem derartigen Rattenloch hausen musste. Als man ihn schließlich befreite, redete er wirres Zeug und vermochte den Rücken nicht mehr gerade zu richten.
    »Skipper! Ich tue, was Ihr -«
    »Du hast dir das selbst eingebrockt, Jan«, unterbrach Jacobs ihn. »Ganz abgesehe n von der Tat warst du dämlich genug, dich obendrein auch noch beißen zu lassen.«
    »Kapitän...«
    Jacobs' Blick haftete auf dem tränenverschmierten, verdreckten Gesicht. Das ist nicht sehr männlich, dachte er, ganz gleich, wie man mit ihm verfährt. Wenn Jan sich jetzt schon dermaßen aufführte, war es womöglich besser, er verlöre den Verstand. Denn das, was er im Moment ertrug, war nichts im Vergleich zu dem, was ihn in Batavia erwartete.
    Jan richtete sich halb auf und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. »Wenn Ihr nichts tun wollt«, begann er mit einem Mal mürrisch, »dann bestellt wenigstens dem Unterkaufmann, dass er mich rausholen soll. Wenn nicht, erfährt jeder, wer tatsächlich dahinter steckt.«
    »Jeronimus?«, fragte der Kapitän verwundert. »Was hat denn der damit zu tun?«
    »Es war seine Idee«, brummte Jan. »Außerdem hat er behauptet, Ihr wäret eingeweiht

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