Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
Vom Netzwerk:
schlugen.
    »Lucretia«, murmelte er mehrmals vor sich hin, bis ihm einfiel, dass sie nicht mehr kommen würde. Er hatte sie seit ihrem letzten Gespräch nicht wieder gesehen, jedoch erfahren, dass sie ihre Mahlzeiten inzwischen in ihrer Kabine zu sich nahm. Ob sie erschiene, wenn sie wüsste, dass ich mich abermals nach ihr sehne? fragte er sich. Ob er ihr dann verständlich machen konnte, warum er so zögernd vorgegange n war?
    Erschöpft versuchte Francois, an nichts zu denken, doch es gelang ihm nicht. Womit habe ich das verdient? fragte er sich ein über das andere Mal. Ich bin Präsident der Flotte, stehe kurz davor, in den Rat der Companie aufgenommen zu werden, werde vo n vielen beneidet, und dennoch liege ich hier nun elend wie ein Hund und liebe eine Frau, die ich endgültig verloren habe. Gott scheint ein lustiges Spiel mit mir zu treiben. Wozu einen Mann mit Armut schlagen, denkt er sich gewiss, wenn die Begierde seines Herzens bereits ausreicht, um ihn zu quälen?
    Es würde nur noch eine kleine Weile dauern, bis die rote Küste des Südlandes am Horizont erschien, hieß es, und danach käme auch Java über kurz oder lang in Sicht.
    -163-

    Wiebe Hayes lag zusammengerollt in seiner Koje und träumte bereits von seinem Hafen. Er stellte sich vor, wie sich frühmorgens die ersten Sonnenstrahlen schimmernd durch fedrige Palmblätter stahlen, und wie sie des Abends über sanft geschwungenen Hügelmulden erloschen. In seiner Nase stiegen die schweren, süßen Gerüche des Ostens auf, er spürte festen Boden unter den Füßen und ging mit großen Schritten geradeaus, ohne über Menschenleiber oder Halteschnüre zu stolpern. Gleich darauf malte er sich aus, wie es sein würde, wenn frisches Wasser durch seine Kehle rann anstatt der brackigen Brühe an Bord. Vor seinen Augen erschienen saftige Braten und Schalen voller exotischer Früchte, in seinen Ohren rauschten Flüsse und murmelten Bäche, in denen er sich aalte, und hernach legte er saubere Kleidung an und...
    Neben ihm wurde ein Stöhnen laut. Wiebe wandte den Kopf zu Zany um. Zany hatte Skorbut. Er hatte nahezu alle Zähne verloren und blutete aus dem Mund.
    Wiebe erhob sich und beugte sich über seinen Freund. Zanys Augen waren tief in ihre Höhlen gesunken, und seinem Rachen entstieg ein fauliger Geruch. Wiebe schöpfte Wasser aus einem Kübel und hielt Zany die Kelle an den Mund. Zanys Lippen machten schwache Bewegungen, doch dann bäumte er sich auf, würgte und spuckte schleimige Galle hervor. Das Wasser rann ihm in dünnen, blutigen Fäden am Hals entlang.
    Er schafft es nicht mehr bis Java, dachte Wiebe. Die Kräuter des Arztes haben ihm nichts genutzt.
    In einer der Ecken begann jemand, auf einer Flöte zu spielen, eine traurige, einfühlsame Melodie. Wiebe fuhr durch den Sinn, sie sei die rechte Begleitmusik, um zu sterben. Er drückte Zanys Hand. »Komm, reiß dich zusammen, Junge«, ermunterte er ihn.
    »Denk an die Mädchen auf Java! Die warten auf dich. Du willst sie doch nicht enttäuschen und dich vorher verdrücken, was?«
    Zany versuchte ein Lächeln. Es sah gespenstisch aus.
    -164-

    Wiebe legte sich zurück. Für eine Weile verharrte er reglos und musste gegen die Tränen ankämpfen. Ich darf nicht weinen, befahl er sich, denn wenn Zany mich hört, weiß er, wie es um ihn steht. Wiebe schloss die Augen, schluckte heftig und beschwor abermals seine Träume herauf.
    Zwaantie hatte sich in eine Ecke verzogen, denn der Skipper war übellaunig und sprach der Schnapsflasche zu, obwohl seine Wache noch längst nicht beendet war. Das ging schon seit Tagen so - seit er bei Jan im Kerker gewesen war, entsann sich Zwaantie. Alles, was schief geht, hing mit Madame Hochnäsig zusammen! Entweder mit ihr oder mit dem Kommandeur.
    Zwaantie fand es seltsam, dass jemand wie Herr Pelsaert sich ungestraft einer Hure bedienen durfte, wohingegen der Nächste für dieselbe Tat in den Kerker ging. Zwaantie kannte Orte, da setzte es Hiebe, wenn die Hure nicht spurte, doch unter dem Kommandeur schienen neue Regeln zu gelten.
    Sie warf einen Blick zu dem Skipper hinüber, der mit hochrotem Kopf vor sich hin brütete, den Schnaps wie Wasser in sich hineingoss und irgendetwas murmelte. Was würde er wohl sagen, wenn ich schwanger wäre? grübelte sie. Ob er dann eine feine Dame aus ihr machte und sie im Palast des Gouverneurs einführte, so wie er es versprochen hatte?

    Achtundzwanzig Grad und dreißig Minuten südlicher Breite
    vierter Tag des Juni im Jahre des

Weitere Kostenlose Bücher