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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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erwachte, war sie verwirrt und wusste anfänglich nicht, was sie davon halten sollte. Auch die unsichtbare Macht, die sie gleich
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    darauf aus dem Bett trug und zu Boden warf, war ihr zuerst nicht begreiflich. In ihrem Inneren verspürte sie lediglich das beklemmende Gefühl, dass sie von einem Albtraum in den nächsten geriet.
    Doch nachdem Lucretia für eine Weile auf dem kalten Fußboden gekauert und versucht hatte, das Geschehen zu erfassen, wurde ihr klar, dass es nur eine vernünftige Erklärung gab: Sie waren aufgelaufen. Was hast du mit mir vor, Herr?
    dachte sie. Ist es noch nicht genug an Strafe? Reicht dir deine letzte Vergeltung nicht?
    Lucretia hörte das Gebrüll der Matrosen und die Rufe der Passagiere, die wie eine aufgebrachte Herde durch die Gänge stampften.
    Ich sollte mich fürchten, fuhr es ihr durch den Kopf. Doch seltsamerweise tue ich das nicht. Vielleicht ist die Furcht gemeinsam mit allen anderen Gefühlen in mir erstickt.
    Lucretia richtete sich auf. Ich werde mich ankleiden, beschloss sie. So kann ich wenigstens einen Rest Würde bewahren. Ich will nicht im Nachtkleid ertrinken, wenn es so weit ist.
    Als Lucretia das Deck betrat, fiel ihr Blick auf den Kapitän und danach auf Francois, der gerade dabei war, sich mit leichenblasser Miene zu entfernen. Als er an ihr vorbeihastete, hielt sie ihn am Ärmel fest.
    »Was ist geschehen?«, erkundigte sie sich.
    »Wir sind aufgelaufen - kein Grund zur Panik«, erwiderte Francois ungeduldig und eilte weiter.
    Lucretia schaute ihm nach. Sie hatte die Furcht in seinen Augen erkannt und wusste, dass er log. Ihre Blicke wanderten zum Kapitän. Inmitten des wirren Spektakels war er der Einzige, der die Ruhe bewahrte und ungerührt erste Rettungsmaßnahmen befahl.
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    Einige der Seeleute hatten das Fallreep aufgerollt und waren nun dabei, das Dingi über die Reling zu hieven und zu Wasser zu lassen.
    Jacobs begab sich zu ihnen. Als das kleine Boot auf den Wellen trieb, machte er Anstalten, über Bord zu klettern und hinabzusteigen.
    Lucretia erkannte Pfarrer Bastians, der sich umgehend in Bewegung setzte, dem Kapitän nacheilte und ihn am Rockschoß fest hielt. Seinen Gesten entnahm Lucretia, dass der Herr Pfarrer darauf bestand, an einem Unterfangen teilzunehmen, das er offenbar als Fluchtversuch auslegte. Jacobs stieß ihn grob zurück.
    Lucretia lächelte unwillkürlich. Der fromme Hirte, dachte sie.
    Er schert sich keinen Deut mehr um seine Herde.
    Houtmans Riff, wiederholte Francois ein übers andere Mal.
    Wie, zum Teufel, hatte es dazu kommen können? Auch der Skipper hatte von der Warnung des Gouverneurs erfahren und gewusst, dass sich zwischen ihnen und dem Südland tückische Riffe befanden, die es in einem Umkreis von hundert Meilen zu umschiffen galt. Doch wie immer hatte Jacobs es vorgezogen, sich über das, was man ihm sagte, hinwegzusetzen. Lieber verließ der sture Hund sich auf seinen eigenen Verstand - und nun saßen sie genau auf jenen Riffen fest.
    Francois zwang sich, in die Brandung hinunterzuspähen.
    Gerade kam der Meisternavigator mit dem Dingi zurück, kletterte am Fallreep empor und wuchtete sich an Bord.
    »Sieben Faden am Heck, drei Faden am Bug«, meldete Jacobs, als er vor Francois stand. »Was habe ich Euch gesagt?
    Es ist eine Sandbank. Wir setzen die Ankerwinde ein. Mit Eintreten der Flut werden wir wieder Kurs auf Java nehmen.«
    »Wir haben das Houtmans Riff gerammt, Kapitän!«, beschied Francois ihn. »Ich wünschte, Ihr würdet das langsam begreifen und zugeben.«
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    »Wünscht, so viel Ihr wollt!«, knurrte Jacobs und wandte sich ab, doch Francois umklammerte seinen Arm.
    Für eine Weile starrten sie sich einfach nur an.
    Francois vernahm entferntes Kinderweinen, dazwischen tröstende Laute von Müttern und ganz aus der Ferne Pfarrer Bastians, der mit zittriger Stimme ein Kirchenlied anstimmte.
    »Ihr haltet mich auf. Wir müssen die schweren Geschütze loswerden«, unterbrach der Skipper ihr Schweigen und befreite sich aus Francois' Griff.
    »Das wird den Rat der Gesellschaft freuen.«
    »Was glaubt Ihr, ist dem Rat lieber? Die Geschütze oder das ganze Schiff?«
    »Nun, wenn Ihr mich so fragt, denke ich, dass er beides gern hätte.«
    »Das wäre sein Pech.« Der Kapitän machte eine kurze Pause.
    »Ich will Jan Everts wieder hier oben haben«, forderte er. »Ich brauche einen erfahrenen Bootsmann zur Hand.«
    Francois schüttelte den Kopf.
    »Wollt Ihr, dass das Schiff gerettet wird, oder

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